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„Immer wieder sonntags“ wird gefeiert Foto: Johannes Drosdowski

Schlagershow „immer wieder sonntags“Tanzen und klatschen und tanken und quatschen

„Immer wieder sonntags“ treffen sich Schlagerfans zur Aufnahme der gleichnamigen Live-Sendung in Südbaden. Unser Reporter war dabei.

U nd wer von euch ist zum 80. Mal hier?“, fragt der junge Mann in weißer Hose, weißem Hemd das Publikum. Noch immer melden sich welche. „Immer wieder sonntags“ hat seine Hardcore-Fans. Menschen, die für jede der zwölf Sendungen der Saison anreisen – und das schon seit Jahren. Menschen, die sich um neun Uhr am Sonntagmorgen an eine Bierbank setzen und dort brav beim Warm-up mitspielen, mitsingen, tanzen, obwohl die Wetter-App bereits jetzt 24 Grad meldet.

Schatten fällt am 22. Juni nur auf die Tribünen am Rand der Arena. Die begehrten Bier- und Café-Tische vor der großen Bühne stehen in der verkrampften Morgensonne. Der Anheizer gönnt einzelnen Menschen ein paar Schübe aus seiner Sprühflasche. Dann endlich taucht Stefan Mross auf. „Das lässt er sich nicht nehmen“, erklärt ein Mann am Biertisch, stolz auf „seinen Stefan“. Vor Beginn der TV-Übertragung übt Mross mit dem „besten Publikum der Welt“, wie es jubelt, klatscht, ein bisschen ausrastet. Zwischendrin frischt eine Stylistin sein Make-up wieder auf.

Auch wenn das Puder heute immer wieder wegfließt: Mross bleibt. Seit 20 Jahren schon kämpft er sich jeden Sommer durch die Schlagersendung. Seit 30 Jahren kämpft sich die Sendung schon durchs deutsche TV. Sie ist eine der letzten Bastionen des Schlagers im Fernsehen, hat an diesem Sonntag einen Marktanteil von 17,4 Prozent, das sind 1,22 Millionen Menschen. Plus die 2.000, die gerade in der Arena aufspringen, weil Mross anfängt, sein neustes Lied zu singen: „Ja mei Halleluja – heut rock ma olle z’samm“. Ein Junggesellenabschied auf der Tribüne zieht sich die T-Shirts nach oben und grölt.

Egal, wie sehr man sich dagegen wehrt: Im Schlager liegt etwas Archaisches, etwas, das an unsere Instinkte als Gesellschaftswesen anknüpft; irgendwann klatscht man mit den anderen mit. Der Bass, die Bewegung, das Kollektiv. Mross singt ein Medley. „17 Jahr, blondes Haar“. Als Udo Jürgens es 1965 herausbrachte, war er 31 Jahre alt. Wenige Meter entfernt beißt sich ein junger Mann auf die Lippe, lächelt verkrampft, als seine Begleitung, eine ältere Frau, ihn anschaut.

Die Identifikationsfläche der Höhner

Mross verschwindet von der Bühne, um gleich wieder auftauchen zu können – für die Kameras dieses mal. Um 10.03 Uhr beginnt die Sendung. Der Kameramann mit seiner Steadicam und dem schwarzen Ganzkörper-Outfit schmilzt bereits. Zwei Stunden wird er noch schleppen. Jetzt rennt er auf Mross zu und dann vor ihm her, während der auf einem Steampunk-Hochrad in die Manege einfährt und zum Playback der Titelmusik in die Menge winkt. Die schunkelt und klatscht. Dann bekommt auch das TV-Publikum ein Warm-up. „Wer kommt denn von ganz weit weg her?“, fragt Mross in die Arena. Eine Familie schreit laut. Sie ist aus Wendling angereist, aus Oberösterreich. „612,2 km“ weit war die Reise, das steht auf den einheitlichen Shirts. Sie feiern den 50. Geburtstag des Vaters.

Damit der Spannungsbogen nicht gleich wieder fällt, dürfen die Höhner ran, die Kölner Band, die für „Viva Colonia“ verantwortlich ist. „Es war im Sommer, 30 Grad“, singen sie, das schafft hier Identifikationsfläche. Auf einer Nebenbühne hebt Mross derweil im Takt die Hand. Dann klemmt er sich die Moderationskarten zwischen die Zähne und zuppelt Hemd und Hose zurecht. Gleich muss er wieder ran und überleiten zum nächsten Gesprächs-Element, „Herzensmensch“. In dieser Kategorie überrascht die österreichische Sängerin und Schauspielerin Ronja Forcher (stilecht: „Der Bergdoktor“)Menschen zuhause, weil Angehörige ihnen für etwas danken wollen. Jetzt teasert Mross das nur an, später in der Sendung steht Forcher dann in einem bayriscchen Garten und eine Tochter bedankt sich aufgelöst bei ihrer Mama dafür, dass sie immer für alle da sei. Gebannt schauen 2.000 Menschen auf den Monitor in der Arena, der in einem Wohnzimmer groß wirken würde. Eine Frau in rosa „Schlager“-Shirt am Biertisch wischt sich mit der Hand über die Wange. Tränen? Schweiß?

Markus Ziemann ist Redakteur von „Immer wieder sonntags“, einer „Sendung mit Herz“, wie er sie nennt. Der Kern sei eine gute Musikmischung und eine große emotionale Bandbreite. Dabei müssen beide Zielgruppen bedient werden: die schwitzende in der Arena genauso wie die vor den Fernsehgeräten. Produziert wird sie vom SWR und von Kimmig Entertainment. Die Firma sitzt ca 30 Minuten entfernt von Rust im badischen Oberkirch und ist seit ihrer Gründung 1973 im Schlagergeschäft. Einen ihrer ersten Verträge hatte sie mit dem griechisch-deutschen Schlagersänger und zweimaligen griechischen Landesmeister im Skilanglauf Costa Cordalis.

Ein Stückchen wohldosiertes Chaos: Moderator Stefan Mross fährt auf einem Steampunk-Hochrad durch die Menge Foto: Johannes Drosdowski

Tricks aus der Küche

Eine Frau muss wieder von der Bierbank steigen, als Sonia Liebing über einen simplen Beat „Können diese Augen lügen?“ fragt. Wenige Meter entfernt wendet ein Mann sich von Liebing ab und einer Sprühflasche mit Ventilator zu. Es ist 10.19 Uhr und die Spaßgrenze für manche offensichtlich erreicht.

Der Trick: Tanzen und Klatschen, wenn musiziert wird. Tanken und Quatschen, wenn geredet wird. Auf einer Nebenbühne steht eine Küche und darin Tim Peters. Der Schlagersänger und Musikproduzent ist diese Woche Star der Rubrik „Gerichte mit Geschichte“. Die funktioniert so: Ein Star kocht ein Lieblingsgericht und erzählt dazu, was er*­sie damit verbindet. Auf Facebook funktioniert die hervorragend, über 500 Menschen gefällt das Rezept, das dort zwischen Videos von der Show steht. „Immer wieder sonntags“ hat auf der Plattform über 117.000 Follows, dafür aber keinen Instagram- oder Tiktok-Account. Die Altersstruktur einer Plattform muss auch zum Publikum der Sendung passen. In der Arena besteht das – auch wenn vereinzelt Kinder und Jugendliche dabei sind – zum Großteil aus Menschen jenseits der 40.

Eine Frau steigt wieder von der Bierbank. Es ist 10.19 Uhr und die Spaßgrenze offensichtlich erreicht

„Gerichte mit Geschichte“ ist ein Trick. Wirkliches Kochen zeigt die Sendung nur selten. Es ist eine Hommage an den Sonntagsschmaus nach dem Kirchgang. Tim Peters kocht Gulasch nach dem Rezept von „Omma Inge“. Das ist die zweite Ebene des Tricks: das Menscheln. Christian Kleinau ist der Abteilungsleiter Show und Musik und spricht von einem „Vehikel, um eine Geschichte zu erzeugen“. „Stinklangweilig“, sagt ein Mann mit rosa Glitzerhut, während Peters von seiner Oma erzählt. Ihm fehlt die Musik, die Partylaune. Getuschel breitet sich in der Arena aus. Die Gesprächs­elemente funktionieren vor allem für das TV-Publikum. „Aber alle drei bis vier Minuten spätestens kommt auch wieder Musik“, sagt Ziemann. Er und Kleinau reden von „Volksfest-Vibes“, von „Amplituden“. Das Raster, in dem sich Musik mit Reden und Spielen abwechselt, könne so auch für andere Sendungen mit anderen Zielgruppen genutzt werden. „Man müsste nur eine andere Plattform und andere Künst­le­r*in­nen nehmen“.

Das eigene Publikum beschreibt Kleinau als „konservativ“ und „heimatverbunden“. Die Künst­le­r*in­nen würden aber nicht danach ausgesucht, wie konservativ sie sind. Trotzdem: „Wir sagen nicht um 10 Uhr morgens: Heute fordern wir die Leute mal so richtig raus! Wir wollen gute Laune erzeugen, Bedürfnisse befriedigen.“

Weit entfernt von den Wasserrutschen

„Das Gequatsche ist das Schlechteste“, sagt der Mann mit rosa Hut. Er nimmt einen Schluck von seinem alkoholfreien Bier. Seine Mutter schaut ihn böse an. „Ich will das hören!“. Mross bekommt mal wieder sein Make-up aufgefrischt. Laut Wetter-App sind es 26 Grad. Am Biertisch nebenan bilden leere Wasserflaschen einen Haufen.

Bad in der Menge: Moderator Stefan Mross unterhält die Zuschauer Foto: Johannes Drosdowski

Eine Frau nutzt ein Prospekt vom Wasserpark „Rulantika“ als Fächer. Im Hintergrund ragen Wasserrutschen wie Fasern eines Stromkabels aus einem Gebäude. Gelegentlich huscht ein Schatten durch eine der Röhren. Seit 1998 wird die Sendung im Freizeitpark Europa-Park gedreht, zu dem der Wasserpark gehört. Das Resort wird diesen Sommer 50 Jahre alt, ist einer der großen Arbeitgeber des ehemals armen Fischerdorfs Rust.

Eine Strategie, um auch jüngere Erwachsene, womöglich sogar Teenager für die Sendung zu begeistern, ist die Sommerhitparade. Bei der treten 13 Künst­le­r*in­nen in Duellen gegeneinander an. Wer gewinnt, kommt in die nächste Sendung und trifft dort auf die nächste Herausforderung. Willy Pichay muss gegen Jordan Hanson ran. Jordan singt „Nur die Ruhe, halt mal an“. Er macht den Job gut, aber eben zu ruhig für das Publikum. Pichay macht in Kaminkehrerkluft und mit Quetsche deutlich mehr Party, bringt die Leute mit „So schnell gehen wir heut nicht nach Hause“ zum Tanzen und Singen. Sie fordern eine Zugabe „Der junge, moderne Schlager gegen die Volksmusik“, ­framt Mross den Wettstreit.

„Früher waren wir noch stärker volkstümlich unterwegs“, sagt Redakteur Ziemann. Dass diese Musik immer noch funktioniert, wenn sie musikalisch ein wenig angepasst wird, beweise Pichay. Der Schlager erlebe eine „Renaissance“, sagt Ziemann. Die Quote gibt ihm recht.

Gefährliche Challenge

Um 10.42 Uhr, eine ältere Frau zieht sich gerade ihre Stützstrümpfe hoch, tauchen Männer in Anglerhosen vor einem Planschbecken auf. Es ist der Angelsportverein Konstanz. Kein uriges, sondern ein lebensnahes Element der Sendung. In „Alle gegen Stefan“ bekommt Mross jede Woche von einem Verein eine Aufgabe gestellt. Letzte Woche wurde er in einer übergroßen Kugel auf Kegel gerollt. Diese Woche soll er Sachen aus einem Planschbecken angeln. Das klingt spektakulär, ist aber harmlos im Vergleich zu 2014, als er eine scharfe Currywurst essen sollte und dabei kollabiert ist. Gefährliche Challenges gibt es nicht nur bei Tiktok.

Im weiteren Verlauf der Sendung kommt noch ein Beichtstuhl zum Einsatz, darf Mross ein bisschen Gulasch essen und mimt eine Holzwurmhandpuppe den Hofnarren, der Mross auch mal sagen darf, dass er nervt. „Immer wieder sonntags“ hat eine strikte, professio­nelle, schnelle Taktung. Das Prinzip ist das gleiche wie auf Youtube: Es muss immer irgendetwas Neues passieren!

Dazwischen sind kleine Momente für tiefere Emotionen eingeplant. Dominik ist zehn Jahre alt, läuft über einen Teppich, auf dem Klaviertasten abgebildet sind, und tritt an das „rote Mikro“. Sobald er beginnt, klatschen alle mit, und als klar wird, ihm bricht gleich die Stimme, setzt die ganze Arena mit ein. Der Junggesellenabschied mit der Shirt-Aufschrift „Männertour“ schwenkt in der Luft die Arme im Takt.

Um 11.35 Uhr rinnt Schweiß ein Männerschienbein herab, bis er vom Sockensaum aufgesogen wird. Die letzte halbe Stunde droht zur Qual zu werden. Eine Frau zupft sich immer wieder das Kleid einige Zentimeter von der Brust und wedelt. Dann kommen zum Glück die Höhner ­wieder auf die Bühne. Ein Paar eilt in den Weg zwischen den Bierbänken und setzt zum Standardtanz an. Wer tanzt, der leidet weniger unter der Hitze. Wer jetzt auf die Bierbank ­klettert, wird nicht mehr runtergeschickt. Die „Männertour“ macht sich auf zur Polonäse. Ein anderer Mann reiht sich ein. Kein Problem. Dann holt er noch eine Frau dazu. Die „Männertour“ verschwindet wieder an ihren Tisch, zu ihrem Bier.

Als Mross kurz darauf die Sendung beenden will, grätschen ihm die Höhner dazwischen, singen noch ein klein bisschen weiter. Dem Publikum gefällt’s, Mross eher nicht. Als er das Ergebnis vom Televoting bekannt gibt, das Willy Pichay mit 79 zu 21 Prozent gewonnen hat, überrascht das niemanden. Es ist eine wohlig absehbare Information. Als Mross aber bekannt gibt, dass laut Messung auf der Bühne im Mittelbereich 46,3 Grad herrschen, raunt und staunt die Arena. Dann bedankt er sich beim „besten Publikum der Welt“. Und wie trainiert: Es rastet aus.

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2 Kommentare

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  • Die einen gehen freiwillig auf Rammstein Konzerte die anderen in den Fernsehgarten, muss man nicht gut finden, so lange man nicht dazu gezwungen wird und nicht demokratiegefährdendes dort getrieben wird kann man es unter Unterhaltung laufen lassen.

  • Ich dachte, es ist furchtbar. Aber mein Freund lässt kaum eine Sendung aus - natürlich nur, um kräftig darüber zu lästern!



    Tatsächlich passt die Sendung perfekt als weitere Blase in eine Social Media Community. In 20 Jahren wird man sie trotzdem im Museum für Kommunikation in Berlin bestaunen und nicht verstehen, wie so etwas im 21. Jhd. möglich war.