Tagung des Tikvah-Instituts: Mehr Strafrecht gegen Antisemitismus?
Beim Kampf gegen Antisemitismus darf es keine Strafbarkeitslücken geben. Unter dieser Prämisse prüfte eine Tagung das Strafrecht und machte Reformvorschläge.
Im Fokus der Tagung stand vor allem der aktuelle israelbezogene Antisemitismus, der die Fallzahlen antisemitischer Straftaten in Deutschland explodieren ließ. Schon im November 2023 hatte die CDU/CSU im Bundestag einen Gesetzentwurf eingebracht, der das Leugnen des Existenzrechts Israels und Aufrufe zur Beseitigung des Staates Israel als Volksverhetzung bestrafen wollte. Bei einer Anhörung im Januar gab es aber massive Bedenken von Sachverständigen. Denn laut Artikel 5 Grundgesetz kann die Meinungsfreiheit nur durch „allgemeine Gesetze“ eingeschränkt werden. Das heißt: Es dürfen keine einzelnen Meinungsäußerungen verboten werden.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland schlägt nun vor, ein neues Delikt „Aufruf zur Vernichtung von Staaten“ zu schaffen und in einem neuen Paragrafen 103 im Strafgesetzbuch unter Strafe zu stellen. Ein Entwurf des Tikvah-Instituts sieht vor, dass auf diese Weise alle UN-Staaten geschützt werden sollen. Dieser Vorschlag dürfte bessere Chancen auf Verwirklichung haben.
Im Volksverhetzungs-Paragrafen 130 ist inzwischen eine Vielzahl von Delikten versammelt, so die Aufstachelung zum Hass gegen Gruppen der Bevölkerung, die Leugnung des Holocaust sowie die Verherrlichung und Billigung der NS-Gewaltherrschaft.
Nach Corona mehr Antisemitismus
Wenn in Paragraf 130 von einem „Teil der Bevölkerung“ die Rede ist, bezieht sich dies nach herrschender Auffassung auf die inländische Bevölkerung. Auch wegen dieses Inlandsbezugs wurden keine Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit antisemitischen Darstellungen auf der documenta 15 in Kassel eingeleitet.
Zudem kann die Parole „From the River to the Sea, Palestine will be free“ nicht als Volksverhetzung verfolgt werden, da sie – wenn überhaupt – die Vernichtung des Staats Israels impliziert, aber jedenfalls keine Aussagen über Juden in Deutschland trifft. Auf der Berliner Tagung wurde deshalb gefordert, auf den Inlandsbezug bei einer Reform von Paragraf 130 zu verzichten.
In der Praxis haben sich Staatsanwaltschaften und Gerichte bei der Parole „From the River to the sea“ häufig damit beholfen, dass diese Parole als Kennzeichen der terroristischen Vereinigung Hamas eingestuft wurde. Auf eine Strafbarkeit als Volksverhetzung kommt es also nicht mehr so sehr an.
Neben dem Nahostkonflikt hat auch die Corona-Pandemie zu einer Zunahme von Antisemitismus-Verfahren geführt. So trugen viele Impfpflicht-Gegner gelbe Sterne mit der Aufschrift „ungeimpft“, die an die gelben Judensterne der NS-Diktatur erinnerten. Für Laura Schwarz, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Berliner Humboldt-Universität, liegt hier eindeutig eine Volksverhetzung vor; hier werde der Holocaust verharmlost.
Strafrecht als Normbestätigung
Die näherliegende Gegenposition vertritt zum Beispiel Rechtsprofessorin Elisa Hoven, die aber in Berlin nicht anwesend war. Danach handelt es sich bei den „ungeimpft-Sternen“ um eine „Überdramatisierung des eigenen Leids“, die nicht strafbar ist, weil sie den Holocaust als besonders großes Unrecht gerade nicht infrage stellt.
Der Berliner Staatsanwalt Tim Kaufmann, der auf antisemitische Straftaten spezialisiert ist, hält die Verharmlosungsfälle für praktisch sehr relevant. „Es ist kein Problem zu klein, um es nicht mit dem Holocaust zu vergleichen.“
Was aber bringt das Strafrecht nun im Kampf gegen den Antisemitismus? „Es ist ein besonders starkes Symbol“, betonte Rechtsprofessor Michael Kubiciel, und meinte das positiv, „das Strafrecht dient vor allem der Normbestätigung.“
Für Volker Beck hat das Strafrecht aber auch handfesteren Nutzen: „An die Festlegung, was strafbar ist, können Behörden auch andere Entscheidungen im Kampf gegen den Antisemitismus anknüpfen – etwa wem sie Räume oder Zuschüsse verweigern dürfen. Beck kann sich daher vorstellen, auch Boykottaufrufe gegen Staaten zu Straftaten zu machen. So könnten Raumverbote für Israel-Boykott-Initiativen rechtfertigt werden. Das Bundesverwaltungsgericht hatte darin in einem Grundsatzurteil 2022 noch eine Verletzung der Meinungsfreiheit gesehen.
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