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Tagebuch von der Frankfurter BuchmesseZum Abschluss über Liebe sprechen

Bevor die Messe schließt, hat unser Autor viel vor. Er ist bei der Hot-List, fällt fast auf das Peng! Kollektiv rein und ist Gast einer Sendung.

Alles, was ein Buch braucht: Tisch auf der Frankfurter Buchmesse Foto: Marie Eisenmann

Es ist der letzte Messetag. 


Um mich herum drängen sich hastig Hunderte von Be­su­che­r:in­nen an den weißen Buchkabuffs. Und ich suche Mathilda.

Auf der Frankfurter Buchmesse

Aron Boks ist zum ersten Mal auf der Frankfurter Buchmesse. In diesem Tagebuch berichtet er von seinen Eindrücken. Hier geht es zum vorangegangen Tag: Red mal über Ostdeutschland!

Seit die Messe am Freitag für den Publikumsverkehr geöffnet hat, sind wir zusammen unterwegs. Es ist ihre erste Buchmesse, die sie jemals besucht. Gleich schließen die Messehallen.

Für mich war es auch die erste Buchmesse in Frankfurt, der erste Deutsche Buchpreis, die ersten Literaturempfänge und der Blick vor und hinter die Kulissen der Literaturwelt. 
Und genau jetzt beobachte ich noch einmal das Aufeinanderknallen der Vorstellungen des Publikums vom Literaturbetrieb an dessen Realität:

Ein Verleger steht in seinem winzigen Stand, wird von einem Besucher gut 15 Minuten lang in ein Gespräch eingewickelt, soll über sein Verlagsprogramm und die Schwierigkeiten der kleinen Verlage reden, bis dann der Besucher fragt: “Und schenken Sie mir jetzt ein Buch?“

“Nein, ich bin doch hier, um zu verkaufen“


Aron Boks

Aron Boks wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt seit 2016 als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin. 2023 erschien sein Buch „Nackt in die DDR. Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat“.

“Guter Punkt!“

Alles, was ein Buch braucht

Daneben drängt sich eine Frau mit einem aufwendig gestalteten, selbst gedruckten Buch durch das Gedränge um den Stand eines großen Publikumsverlags, knallt das Ganze auf den Tisch und bewirbt das Manuskript als etwas “mit allem, was ein Buch braucht!“. “Da geht es um Action, Familie und Sex!“, raunt sie und erklärt einer Verlagsmitarbeiterin gerade, wie ihr Buch am besten vermarktet wird und wie das Cover aussehen könnte. Mit einem Feuer, das allein dadurch gelöscht wird, dass die Mitarbeiterin sagt: “Schreiben Sie uns lieber eine E-Mail.“

Keine Ahnung, ob das etwas bringt, aber ich habe jetzt keine Lust, meine gute Laune dadurch trüben zu lassen, denke ich und blättere durch mein Notizbuch. 


Da habe ich mir die Momente aufgeschrieben, die ich an diesem Messewochenende einfach nur schön fand:

Die Literaturkritiksendung

Am Freitag darf ich zum ersten Mal bei einer Literaturkritiksendung dabei sein. Und bin dafür zur Vorbereitung mit Mathilda durch Frankfurt spaziert, ich wollte unbedingt das Adorno-Haus sehen, und als wir davorstehen, sagt sie: “Sei später auf der Bühne einfach nicht so wie die weißen Literaturstudenten aus meinen Seminaren, die Buchkritiken mit Sätzen wie 'Wir müssen jetzt aufpassen …’ einleiten, als wären sie so Bertolt Brecht, der vor dem aufkommenden Faschismus warnt.“

Und daran habe ich mich gehalten und es lief super. 



Später dann Riesen-Gewusel an einem kleinen Stand des neuen Unternehmens “amazing books“. Ein Start-up, das in einer Pressemitteilung damit warb, mithilfe künstlicher Intelligenz Bücher zu erschaffen, die ganz auf eine Person zugeschnitten sind. Mithilfe vorhandener Bücher und Werke würden neue Bücher entstehen, angepasst an Lesegewohnheiten und Interesse der Kund:innen. Das Start-up verhandelte nach eigenen Angaben mit über 30 Verlagen, etliche Jour­na­lis­t:in­nen inklusive meiner, wollten wissen, was da abgeht.

Und am Ende wird klar, dass das alles nur ein Riesen-Prank des Peng! Kollektivs war.

Die Gewinner der Hot-List

Später am Abend, eine Szene aus dem Literaturhaus Frankfurt. Dort findet die Verleihung der Hot-List-Gewinner statt, bei dem unabhängige Verlage geehrt werden. Durch die begeisterte Jury einstimmig entschieden, gewinnt dort “Leere Menge“ von Verónica Gerber Bicecci, aus dem mexikanischen Spanisch übersetzt von Birgit Weilguny, und “handverlesen“, die erste deutsche Anthologie über Gebärdensprachenlyrik, bekommt einen Zusatzpreis.

Danach stehen Mathilda und ich an der Bar. 
Gerade will ich mich aufregen, als sie beim Rotweinbestellen von so einem alten Mann angetippt wird, der dann mich ansieht und der unsere Drinks bezahlt.

“Der wollte ganz offensichtlich einfach nur …“, beginne ich gerade. Da schüttelt Mathilda den Kopf. “Der hat gleich gesagt, dass er uns beide einladen will.“

Als ich ihn fragend ansehe, sagt er: “Ich hab einfach richtig gute Laune!“

Dann stehen wir wie die Hälfte der Partybesucher einfach nur draußen vor dem Literaturhaus, rauchen, und irgendwann kommt mir die völlig begeisterte Autorin Annika Büsing mit einem Riesen-Rucksack entgegen, in dem gerade der Deutsche Jugendliteraturpreis liegt, und erzählt mir, wie sie jetzt am nächsten Tag eine Lesung hat und ganz viele Bücher mitbringen soll, ihr Verlag aber in diesem Jahr nicht die finanziellen Mittel aufbringen konnte, um selbst auf der Messe zu sein.

“Also ist einer aus dem Verlag einfach in das Lager gelaufen und wird morgens um sechs Uhr mit einem Haufen Bücher nach Frankfurt fahren, um die hier auf der Messe zu verkaufen.“

Das war schön.

Bevor die Hallen schließen

Und bis eben saß ich auf einem Panel, um mit einer Klimaaktivistin und einem Philosophen darüber zu sprechen, wie die Zukunft gestaltet werden kann. Parallel wird gerade Salman Rushdie der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Paulskirche verliehen.

Und hier auf der Bühne ging es irgendwie ganz schön harmonisch zu.

Jedenfalls dafür, dass der Autor neben mir in seinem Buch darüber spricht, dass wir uns darauf besinnen sollten, schon mehrere Krisen durchstanden zu haben, und die Autorin gegenüber die Letzte Generation mitbegründet hat und aus völliger Ohnmacht angesichts der Klimakrise in einen Hungerstreik getreten ist.

Dann ging es aber um Protestformen, Straßenblockaden, und irgendwann sagte ich dann: “Lasst uns über Liebe sprechen!“, und das haben wir auch gemacht, schließlich habe ich nachgezählt, wie oft das Wort in beiden Büchern vorkommt, und in dem der Aktivistin taucht es einmal und in dem des Philosophen gar nicht auf. Dabei geht es darin um das Prinzip “Zuversicht“. Kurzes Lächeln im Publikum. Die beiden Au­to­r:in­nen treffen sich kurz auf einer Interessenebene, laufen dann im Diskurs aber wieder voll voneinander weg, tauschen aber am Ende ihre E-Mail-Adressen.

Jetzt gibt eine Stimme durch, dass die Messeehallen schließen, und ich laufe zu Mathilda.

Sie sieht mich fröhlich an. Mist, denke ich. Das hatte ich vergessen.

Ich sollte ihr in all diesen Tagen ein Buch aussuchen. “Ich habe das voll vergessen, bei all dem was …“, stottere ich.

“Das macht doch nichts!“, antwortet sie. “Dann gehen wir mal zusammen in einen Buchladen!“


Dann nimmt sie meine Hand und wir werden von dem Sog der Menschen nach draußen gezogen. “And the Story goes on“, steht dort an einer Wand.

Ich verlasse die Messe. Und ich bin verzaubert.

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