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Tag der Menschen mit Behinderung„Viele können nicht mithalten“

Werkstätten stehen wegen mieser Löhne in Kritik. Doch im ersten Arbeitsmarkt ist nicht alles besser, so Christine Sacher vom Werkstattrat Bremerhaven.

Präzisionsarbeiten an der Säge – in vielen Werkstätten gibt es dafür nur zwei Euro die Stunde Foto: Daniel Karmann/dpa
Interview von Lotta Drügemöller

taz: Frau Sacher, sollte man Behindertenwerkstätten abschaffen?

Christine Sacher: Nein, auf keinen Fall!

Ich frage, weil die Werkstätten gerade sehr in der Kritik stehen.

Aber sie sind als geschützter Raum extrem wichtig. Ich zum Beispiel bin examinierte Krankenschwester, bin im Jahr 2000 psychisch krank geworden und jetzt seit 17 Jahren bei den Elbe-Weser-Werkstätten beschäftigt. Natürlich wirkt es seltsam, wenn einer, der immer anderen geholfen hat, plötzlich selbst in der Werkstatt ist. Aber für mich war es der richtige Weg. Hier ist es möglich, auch mal drei Schritte vor und zwei Schritte zurück zu machen.

Die Kritik an den Werkstätten bezieht sich meist aufs Geld: Es wird dort nicht einmal Mindestlohn gezahlt.

Ja, es gibt für viele nur etwa zwei Euro in der Stunde. Dazu kommen noch ergänzende Sozialhilfe und Renteneinzahlungen. Gut ist das natürlich nicht. Nach der UN-Behindertenrechtskonvention geht das mit den zwei Euro gar nicht. Aber beim Thema Entgelt kommt gerade viel in Bewegung. Die SPD hat im Bundestag eine Forschungsarbeit bis Ende 2023 in Auftrag gegeben: In der Studie soll ausgearbeitet werden, was das beste Modell ist, Mindestlohn zum Beispiel oder ein Basisgeld.

Ein Basisgeld? Was ist damit gemeint?

Das Konzept Basislohn ist von Werkstatträte Deutschland erarbeitet worden, zusammen mit Beschäftigen aus allen Werkstätten. Damit sollen alle Beschäftigten 1.400 Euro bekommen.

Das klingt schon mal nicht schlecht, aber müsste nicht das Ziel im Sinne der Inklusion sein, Stellen auf dem regulären Arbeitsmarkt zu schaffen?

Klar, wenn ich meine Kollegen anschaue, gerade in den Werkstatt­räten, frage ich mich auch: Warum seid ihr hier? Warum seid ihr nicht da draußen, irgendwo in hohen Positionen? Aber so ist es eben, man sieht nicht allen die Behinderung an. Draußen können viele einfach nicht mithalten.

Also muss sich doch die Arbeitswelt ändern.

Im Interview: Christine Sacher

54, seit 2004 bei den Elbe-Weser-Werkstätten (eew) Bremerhaven beschäftigt. Sie engagiert sich seit vier Jahren für den Werkstattrat der eew, eine Art Betriebsrat für Werkstatt-Beschäftigte, und ist dort aktuell stellvertretende Vorsitzende.

Schon. Aber das Problem bleibt: In der freien Wirtschaft gibt es wenig soziale Absicherung. Sie bekommen dann zwar Mindestlohn – aber damit ist die Rente am Ende oft sogar kleiner als in der Werkstatt, das wäre doch keine Lösung. Alle prügeln auf der Werkstatt rum. Aber der Rest hat es auch nicht leicht. Es gibt gar nicht so viele Jobs, die man mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt machen kann.

Ließe sich das nicht über mehr Barrierefreiheit ändern?

Ja, das ist das Eine. Die Kassen am Rewe sind einfach zu klein für einen Rollstuhl. Aber das ist eben noch nicht alles. Viele Kollegen können nicht lesen und ­schreiben.

Laut dem aktuellen Inklusionsbarometer der Stiftung Mensch besetzen große Firmen 4,6 Prozent ihrer Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten.

Ich weiß aber, dass viele Betriebe lieber die Strafen zahlen, als Behinderte neu einzustellen. Ein Schwerbehindertenausweis kann schützen, wenn Sie angestellt sind. Aber bevor Sie sich bewerben, ist es meiner Meinung nach nicht zu empfehlen, sich die Behinderung bescheinigen zu lassen, weil sie dadurch mehr Probleme haben, den Job zu bekommen.

Sie setzen sich mit einem Antrag dafür ein, Bildungsangebote für Werkstattbeschäftigte zu verbessern. Geht es Ihnen darum, dass Menschen rauskommen aus dem System Werkstatt?

Nein, andersrum: Es geht darum, dass Ausbildungsmodule in der Werkstatt selbst angeboten werden. Sie soll ein Haus für Arbeit und Bildung werden. Natürlich soll Bildung Appetit machen auf die Arbeit draußen. Aber eben so, dass man nicht gleich alle rausprügelt und zwingt, sich woanders zu qualifizieren.

Wie sollen die Bildungsangebote aussehen – wie klassische Computerkurse?

Ich könnte mir auch noch schickere Sachen vorstellen. Was wäre zum Beispiel mit speziellen Fahrschulen? Berufliche Qualifizierung ist jedenfalls nicht mehr nur häkeln.

Ist denn bisher keine Weiterbildung vorgesehen?

Doch, aber der Berechnungsschlüssel für die berufliche Qualifizierung passt nicht: Bei den Angeboten ist vieles, was wir brauchen, nicht mitfinanziert.

Was fehlt denn?

Ein Beispiel: Es gibt Computermäuse in den verschiedensten Varianten. Aber das reicht nicht, es müsste erst mal Ergotherapie geben, damit die Mäuse auch motorisch benutzt werden können. Nur dann erkennen die Kollegen, was sie alles können. Alles das kostet Geld – die Werkstätten müssen bisher vieles selbst finanzieren, das geht nicht.

Ihren Antrag wollten Sie heute im Bremer Behindertenparlament stellen. Jetzt wurde die Sitzung wegen der Pandemie auf Mai 2022 verschoben. Wirft Sie das zurück?

Sie müssen ohnehin einen langen Atem haben, wenn Sie in der Behindertenpolitik arbeiten. Was machbar ist, ändert sich nur langsam.

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