Taekwondo-Europameister Laachraoui: Den Bruder besiegen
Mourad Laachraoui gewann die Europameisterschaft im Taekwondo. Kurze Zeit vorher wurde sein Bruder beim Brüsseler Terroranschlag zum Mörder.
Außerdem fand er, dass es seinen vier Söhnen helfe, sich verteidigen zu können. Weil die Suche nach einer neuen Schule erfolglos blieb, wechselte Mourad zu Taekwondo. Eigentlich hätte er auch gerne Fußball gespielt, nur dass der Selbstverteidigung damit nicht gedient gewesen wäre.
Elf Jahre später: Ende Mai 2016 wird Mourad Laachraoui im schweizerischen Montreux Europameister. In der leichtesten Taekwondo-Gewichtsklasse (bis 54 Kilogramm) besiegt er den Spanier Jesús Tortosa Cabrera mit 6:3 Punkten. Als er dessen letzten Angriff pariert hat, reißt Laachraoui, inzwischen 21, die Hand hoch. Die Kamera fängt sein schmales Gesicht ein, und seine Züge zeigen nicht nur die Anspannung, die entweicht, sondern auch, dass da einer harte Wochen hinter sich hat.
Zwei Monate ist es her, da fiel Mourad Laachraoui „der Himmel auf den Kopf“. So sagte er das neulich in der belgischen Presse. Sein älterer Bruder Najim hatte sich am Flughafen Zaventem in die Luft gejagt. Als Bombenbauer war der eine zentrale Figur bei den Pariser Attentaten vom November gewesen. Seit seiner Abreise nach Syrien 2013 hatten sich die Brüder nicht mehr gesehen. Mourads Sportkarriere hatte schon vorher für Distanz gesorgt.
Mourad Laachraoui
Wenige Tage später tritt der Kampfsportler in einem völlig überfüllten Raum des Taekwondoverbands mit Anwalt und Coach vor die Presse. Einmal will er sich den Fragen stellen, so der Plan, auf dass man ihn danach in Ruhe lasse. „Traurig. Angegriffen. Getroffen durch das, was passiert ist“, antwortet er in kurzen Schlagworten auf die Frage nach seinem Gefühlszustand.
Und sonst? Mourad Laachraoui verurteilt die Attentate, er hofft, nicht mit seinem Bruder über einen Kamm geschoren zu werden. Er erinnert sich an den „freundlichen und vor allem intelligenten Jungen“, der sein Bruder einmal war. Und er will „das Kapitel abschließen“.
„Ich bin kein Role-Model“
Das freilich ginge leichter, wenn Mourad Laachraoui nicht Europameister geworden wäre. Der Taekwondoverband vermittelt einen Kontakt per Mail, versucht aber, Fragen zu Mourads Bruder zu blocken. Über sich selbst spricht der Champion dagegen. Sieht er sich als Vorbild in diesen angespannten Zeiten?
„Ich denke nicht, dass ich ein Role-Model für eine bestimmte Gemeinschaft bin“, antwortet er entschieden. Und auch wenn für ihn als Sportler nichts schöner sei, „als für mein Land, Belgien, anzutreten“, wählt er beim Thema Identität die kleinstmögliche Einheit: „Ich bin einfach und bescheiden nur Mourad Laachraoui.“
Geboren wurde er in der Brüsseler Gemeinde Schaerbeek. Die Eltern, heute in Rente, waren gerade erst aus Marokko eingewandert. „Schule, Taekwondo, Freunde, Kino und, wann immer möglich, Fußball“ – das waren die Komponenten in seiner Adoleszenz. Was ihm an Taekwondo gefällt? „Die Kämpfer kommen aus allen kulturellen und finanziellen Milieus. Dieser Sport ist offen für jeden.“ Bewusst ist er sich jedenfalls darüber, dass Taekwondolaufbahnen in der Regel „vor dem 30. Geburtstag“ enden. Einen Sponsor hat Mourad Lachraoui auch nicht – ein Grund mehr, auf sein Studium der Elektromechanik in Brüssel zu setzen, dem er ein Ingenieurstudium folgen lassen will.
Seinen Erfolg in Montreux widmet er in erster Linie den Eltern. „Das erlaubt ihnen, die sehr schwierigen Momente der letzten Zeit zu vergessen.“ Gegenüber dem belgischen Journalisten Marc Eeckhaut von der Zeitung De Standaard erläuterte Laachraoui: „Sie leben nicht mehr richtig, sie weinen oft. Mein Vater rief mich an, nachdem ich den Titel geholt hatte. Ich fühlte, dass er froh war. Es war das erste Mal seit Langem, dass sie ein bisschen Glück fühlten. Das hat mich berührt.“
Den Olympiastartplatz in der 54-Kilogramm-Gewichtklasse hat der belgische Verband bereits vor der EM vergeben. Insofern konzentriert sich Mourad Laachraoui nun schon auf die WM im nächsten Jahr und die Spiele von 2020. Darüber hinaus hat er ein weiteres Ziel: „Ich muss meinen Familiennamen reinigen. Für meine Eltern, meine kleinen Brüder und die nächste Generation.“
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