TV-Spots zur Europawahl (2/3): Bibeltreuer Weltraumaufzug
Mit Gottes Segen, aber ohne Essen: Das Mittelmaß der Wahlwerbung in unserer absolut objektiven und sachlichen Kurzkritik.
BERLIN taz | Wahlen sind auch ein Beschäftigungsprogramm für Agenturen und Hobbyregisseure – die Parteien müssen schließlich Fernsehwerbung präsentieren. Die einen machen das besser, die anderen schlechter.
Wir haben uns die Wahlwerbespots der großen wie der kleinen angeschaut und einer filmtheoretischen Analyse unterworfen, die nach streng fachlichen und objektiven Kriterien und ohne ideologische Färbung durchgeführt wurde. Am Ende entschied ein elaboriertes Punktesystem über die Platzvergabe.
Da kein Mensch nun den ganzen Berg politischer Infomercials am Stück schauen kann, gestatten wir uns, als gelehrige Schüler des großen Peter Jackson, unsere Kurzkritiken als Dreiteiler zu präsentieren. Der erste Teil mit den am wenigsten gelungenen Spots ist schon in den Kinos, an dieser Stelle sei nun das Mittelfeld vorgestellt:
Platz 17: Tierschutzpartei
Empfohlener externer Inhalt
Ein Laienschauspieler wird von Wackelkamera und einem Mikrofon durch belebte Straßen gescheucht. Er sagt, er interessiere sich nicht für Politik. Das wiederum interessiert die Stimme aus dem Off nicht. Sie befindet sich schließlich im Wahlkampf. Mit Special Effects, wie in einer Kinderserie aus den 1980ern wird dem armen Mann sein Essen vom Teller stibitzt, um die dräuenden Gefahren einer verseuchten Umwelt zu illustrieren.
Fazit: Das alles wirkt ganz engagiert, dabei so liebens- wie vernachlässigenswert.
Platz 16: Freie Wähler
Empfohlener externer Inhalt
Boden- und mittelständig gibt sich Ulrike Müller, die Spitzenkandidatin der Freien Wähler. Das bayerische Flair der Partei wird im Spot mit blauen Himmeln, Bergen, Backstuben und glücklichen Kühen voll ausgespielt. Ob das aber reicht Wählerinnen und Wähler nördlich des Weißwurstäquators anzusprechen?
Fazit: Auf den gut abgefilmten Charme eines einzigen Bundeslandes zu setzen, ist schon recht mutig.
Platz 15: MLPD
Empfohlener externer Inhalt
Improvisiert, dabei das beste aus geringen Ressourcen gemacht: Die Organisatoren der „kämpferischen internationalen Arbeitereinheit“ würde gewiss lieber Menschenmassen präsentieren als generische Symbolbilder. Aber wie soll man auch eine Revolution ins Bild setzen, die wohl noch die optimistischsten Marxisten-Leninisten nicht in der unmittelbaren Zukunft vermuten dürften.
Fazit: Klassenkampf auf Sparflamme, aber so sind die Kräfteverhältnisse nunmal, Genossen.
Platz 14: Grüne
Empfohlener externer Inhalt
Grüne, so geht das nicht! Schwungvolle Musik, sonnige Bilder - OK. Eine freundliche Offstimme - sehr professionell. Aber dann, in der Mitte eines Spots, hören wir zu den Bildern der fallenden Berliner Mauer: „Andere sorgen dafür, dass nichts mehr so ist, wie es einmal war.“ Andere? Nicht ihr? Und der Leguan am Ende, der da so gähnt - ist das Selbstironie? Oder anders gefragt: Ist das klug?
Fazit: Das nächste Mal bei der Endabnahme den Spot vielleicht bis zum Ende schauen und gegebenenfalls nachbessern.
Platz 13: CSU
Empfohlener externer Inhalt
Der CSU ist noch weniger eingefallen. Sie kopiert für die Europawahl einfach ihren Spot zur Landtagswahl 2013. Damals saß Parteichef Horst Seehofer noch am gedeckten Tisch (ganz spartanisch: geteilte Äpfel, Brot, Wasser, Salz und Pfeffer) vor Holzverkleidung und lobte den Erfolg Bayerns im fingierten Dialog. Dazu dudelte gediegene Blasmusik im Hintergrund.
Zur Europawahl sitzt er im Wintergarten vor grünem Naturhintergrund und erzählt im fingierten Dialog über die Vorzüge von Europa. Auf dem Tisch? Genau: Apfel, Brot, Wasser, Salz und Pfeffer. Im Hintergrund? Überraschung: Gediegene klassische Streichmusik. Beinahe dreist, wie stark die CSU von sich selbst klaut. Sie hofft wohl, damit an den Erfolg bei der Landtagswahl anknüpfen zu können.
Fazit: Kopiert, gut inszeniert, musikalisch hübsch unterlegt. Hätte schlimmer kommen können.
Platz 12: Partei bibeltreuer Christen
Empfohlener externer Inhalt
Man muss unweigerlich grinsen. Diese älteren, grauhaarigen Herren, die verbissen in die Kamera blicken und gegen „ungeeigneten Sexualkundeunterricht in der Schule“ wettern oder auf den volkswirtschaftlichen Schaden von Abtreibungen hinweisen.
Filmisch - wie häufig bei den Traditionalisten der PBC - ist der Spot konventionell. Der Hintergrund bleibt starr und orange-gelb, im Vordergrund die Parteisoldaten, in der Ecke das Parteilogo. Das höchste der Filmkunst: Schlagwörter die ins Bild gleiten und das Ein- und Ausblenden der sich abwechselnden Botschafter der christlichen Werte.
Offene Frage: Was ist eine Europatagswahl? – Geschickt: Hinweis auf den Wegfall der 5%-Hürde. – Geradezu ausgefallen: Das synchron vorgetragenen „Gott segne Sie“ am Ende des Spots.
Fazit: Traditionell und konventionell, teils aber auch geschickt und ausgefallen und damit durchaus unterhaltsam.
Platz 11: AfD
Link auf den Youtubekanal der Partei
Eins schafft die AfD: Sie fasst in dem Spot kurz und präzise ihre Forderungen zusammen. Das passiert stets nach dem Muster: Empörter Bürger fragt sich etwas über x oder y („Haben Sie sich schonmal gefragt, warum...?“). Blende. AfD liefert Antwort oder Forderung zu x oder y. Wobei x und y etwa für Griechenland, Schulden, Renten, Euro-Rettung, Bankenzockerei, steht.
Besonders perfide dabei: Ein Mann mit Migrationshintergrund im Arztkittel fragt sich, warum nicht alle Einwanderer in Deutschland etwas leisten müssen. So wie er? Ist ja immerhin Arzt geworden! Und hört, hört, die AfD hat ja auch gar nichts gegen Ausländer, nur gegen die faulen. Muss man doch mal sagen dürfen.
Fazit: filmisch etwas öde weil sich wiederholende Muster, insgesamt aber alleiniger Spitzenreiter des ressentimentgeladenen Rechtspopulismus.
Platz 10: PIRATEN
Empfohlener externer Inhalt
„Europa muss mehr so werden wie das Internet.“, sagt uns Julia Reda, die für die Piraten nach Brüssel ziehen möchte. Es folgen ganz lebensweltliche Forderungen, wie die nach freiem Zugang zu „Filmen und Serien“, aber auch harte Politik, wie Datenschutz und Überwachung. Es wird ordentlich symbolbebildert und irgendwann erscheinen die knapp anderthalb Minuten atemloser Forderungen doch etwas lang. Bis, ja bis der Hammer ganz am Ende kommt: „Ich will, dass Europa in 20 Jahren den ersten Weltraumaufzug baut.“
Fazit: Wieso erst in 20 Jahren, Piraten? Wir wollen jetzt in die Luft gehen! Sofort!
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