TV-Serie „Occupied“ aus Norwegen: Das Richtige tun
„Occupied – Die Besatzung“ imaginiert Norwegen als von den Russen besetztes Land. Auf die Idee, die auch noch funktioniert, kann nur Jo Nesbø kommen.
Anruf beim norwegischen Premierminister: „Die deutsche Bundeskanzlerin ist am Telefon.“ Premierminister: „Wenn ich sage: ‚Keine Telefonate‘, dann meine ich: ‚Keine Telefonate‘!“ Dafür scheinen die arg frostigen Beziehungen zwischen der EU und Russland in einer nicht näher bestimmten, aber nahen Zukunft, in der die TV-Serie spielt, plötzlich wieder viel kooperativer zu sein. Und das, obwohl, ja weil die Russen genau da weitermachen, wo sie auf der Krim angefangen haben.
Aber der Reihe nach. Die Norweger, dieses verschrobene kleine Volk am Rande Europas, machen manche Dinge eben anders, auch wenn sie damit ganz allein dastehen (Walfang). Sie können sich das auch leisten, wegen ihres vielen Öls. Aber genau davon will der neu gewählte Premier (Henrik Mestad) nun nichts mehr wissen – wegen des Klimawandels: „Die Zeit für fossile Brennstoffe ist vorbei. Für Norwegen heißt das: Das Ölzeitalter ist beendet!“
Kaum hat er also den Ölhahn zugedreht, da wird er auch schon von freundlichen (russischen) Männern per Hubschrauber entführt, die ihn mit einem freundlichen (französischen) EU-Kommissar skypen lassen: „Ich spreche im Namen der Europäischen Union. Mr. Berg, Sie ignorieren die Grundbedürfnisse der europäischen Bevölkerung.“ Und: „Ihre Öl- und Gasproduktion wird wieder hochgefahren. […] Die russische Regierung hat freundlicherweise zugesagt, Norwegen dabei zu helfen. Sie wird sicherstellen, dass die Produktion dasselbe Niveau erreicht wie vor Ihrer Amtsübernahme.“
Die Russen besetzen Norwegen im Auftrag der EU. Auf so eine bizarre Idee kann man natürlich nur kommen, wenn man Norweger ist, so wie Bestsellerautor Jo Nesbø (“Harry Hole“-Reihe). Wie verhält sich eigentlich die Nato dazu, deren Mitglied das Nicht-EU-Mitglied Norwegen doch ist? Der Zuschauer erfährt nur mal in einem Nebensatz, dass die USA inzwischen jedenfalls nicht mehr Mitglied der Nato sind.
Brandaktuelle Themen, kontrovers verhandelt
Man darf die neuen komplexen TV-Serien nicht vorschnell nach ihrer ersten Folge beurteilen. Und auch nicht nach der oftmals fingierten Ausgangssituation. Dafür ist es verblüffend, wie absolut plausibel die Handlung von „Occupied“ (Drehbuch: Karianne Lund, Erik Skjoldbjærg, Erik Richter Strand) nach der abenteuerlichen Exposition weiterentwickelt wird. Und wie viele brandaktuelle Themen da kontrovers verhandelt werden.
Es geht um nicht weniger als: staatliche Souveränität, Gewalt gegen Migranten, Unabhängigkeit der Justiz, Pressefreiheit, Informantenschutz, den Unterschied zwischen Journalismus und Aktivismus, das Verhältnis demokratischer Entscheidungsprozesse zur Verbindlichkeit internationaler Verträge, die Grenzen staatlicher Überwachung in Zeiten der Terrorabwehr und die Unmöglichkeit politischer Ideale unter den Bedingungen der Realpolitik.
Ein Premierminister (er heißt Berg, nicht Tsipras), der das Richtige tun will, tut das Gegenteil von dem, was er seinen Wählern versprochen hatte. Ein Journalist (Vegar Hoel), der sich empört und der das Richtige tun will, schreibt darüber. So bedient er auch das antirussische Ressentiment, während das Restaurant seiner Frau, die das Richtige tun will, allein von den russischen Gästen lebt. Ihre kleine Tochter, die das Richtige tun will, erkennt einen unfallflüchtigen Tschetschenen bei der Polizei nicht wieder, weil sie in der Restaurantküche gehört hat, dass die Russen ihn foltern werden.
Ein Polizist (Eldar Skar), der das Richtige tun will, rettet der russischen Botschafterin das Leben und befindet sich bald zwischen allen Stühlen. Seine Chefin, die das Richtige tun will, ist todkrank und hat nichts mehr zu verlieren.
„Occupied – Die Besatzung“, immer donnnerstag, 20.15 Uhr, Arte
In „Occupied“ wird viel verdichtet, aber nichts vereinfacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut