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TV-Serie „Government Cheese“Käse aus Beton

„Government Cheese“ erzählt von einem Familienvater zwischen göttlicher Berufung und kapitalistischer Fallhöhe – surreal, poetisch, politisch.

Hat es nicht leicht, seit er aus dem Gefängnis entlassen wurde: Hampton Chambers (David Oyelowo) Foto: Apple TV

Aktuelle Streaminghighlights scheinen häufig Gegenwartsdiagnosen zu beinhalten. Die gefeierte dritte Staffel von „The White Lotus“ porträtiert perversen Superreichtum, semifuturistische Dystopien wie „Severance“ prognostizieren die nächsten Schritte des entmenschlichten Selbstverbesserungsdogmas im digitalen Kapitalismus.

Dass surreale Verfälschung Wahrheiten über das Sein ebenso offenlegen kann, ja ein bisschen Magie Wahrheitskerne manchmal besser herauszuarbeiten vermag als die Spiegelung dessen, was uns sowieso umgibt, scheint mitunter in den Hintergrund zu rücken.

Apple TV+ legt mit „Government Cheese“ nun eine surreale Parabel vor und springt dafür ins Amerika der 1960er Jahre. Hampton Chambers (David Oyelowo, der für dieses Projekt als ausführender Produzent mit dem oscarnominierten Charles D. King zusammenarbeitete) wird aus dem Gefängnis entlassen.

Er muss feststellen, dass seine Frau Astoria (Simone Missick) und die beiden Söhne Einstein (Evan Ellison) und Harrison (Jahi Di’Allo Winston) keineswegs drei Jahre lang ihr Leben pausiert haben, dass seine pubertären Söhne andere Wege einschlagen als von ihm antizipiert und dass Astoria ihn freundlich, aber unnachgiebig in die Garage verweist und abends nicht mehr mit ihm, sondern mit einem anderen Mann Tanzlokale besucht.

Die Serie

„Government Cheese“, ab sofort auf Apple TV+

Die Gefängnisjahre haben indes für Hampton zwei Konsequenzen: Er schuldet einer brutalen Gang von frankokanadischen Brüdern Geld. Und er hat zu Gott gefunden. Um seine Schulden zu begleichen und wieder zu Wohlstand zu gelangen, erfindet Hampton den „Bit Magician“, einen Bohrer, der niemals stumpf wird.

Aus nichts wird etwas

Diese unübersehbare Symbolik ist nur eine von unzähligen der Serie, eine weitere ist der titelgebende government cheese: Astoria erzählt ihren Söhnen, Hamptons Mutter habe aus nichts als Weißbrot und government cheese – hochverarbeitetem Käse, den die US-Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1980er hinein an die Bevölkerung verteilte – köstliche Sandwiches zaubern können.

Diese Eigenschaft hat Hampton geerbt: Aus nichts wird etwas, aus Wasser wird Wein, seine leeren Hände zaubern den „Bit Magician“. Kann dieser Wein Bestand haben?

Die Geschichte von Hampton Chambers ist eine Parabel des Zu-viel-Wollens, erzählt mit surrealistischen Einschüben: Hampton liest im Gefängnis das erste Mal im Buch Jona und wird nach einem Einbruch in einer Synagoge von einem Wal verschluckt. Nicht metaphorisch oder im Traum, sondern – an Magischen Realismus erinnernd – tatsächlich.

Er liegt in seinem Bauch, ringt mit Gott und sich selbst und wird dann ausgespuckt, als er aufrichtig Umkehr gelobt. Dennoch darf „Government Cheese“ nicht als religiöse Serie mit Sendungsbewusstsein missverstanden werden. Sie verfolgt keinerlei religiöse Mission, sondern flicht die Religiosität der Schwarzen Bevölkerung der 1960er auf streitbare, leidenschaftliche Weise ein, nicht brav und angepasst.

„Government Cheese“ schöpft dabei aus dem Vollen: Die Farbpalette der Retroästhetik erinnert an Wes Anderson, das Populär-Surrealistische an den kürzlich verstorbenen David Lynch, die absurden Elemente an die Coen-Brüder.

Ob Hampton schlussendlich nach Ninive geht, soll hier nicht verraten werden. Eines aber ist unmissverständlich: Alles hat so viel Bedeutung, wie wir ihm zuschreiben – und so viel Magie noch dazu.

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1 Kommentar

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  • Zum Artikel „Käse aus Beton“: Was ist ein „Familienvater“? Gemeint ist „Mann“ oder „Vater“ oder wirklich Oberhaupt/„Vater“ der Familie?