TV-Kritik „Unter Bauern“: Ein Dorf voller Nächstenliebe

Der WDR zeigt, wie die jüdische Familie Spiegel die Nazis überlebte. Die Geschichte ist authentisch, verschweigt aber eine andere Realität.

Bauerntochter Anni, das begeisterte BDM-Mitglied, geleitet Frau und Tochter Spiegel zu ihrem Versteck. Bild: ZDF

Es ist ein etwas ungutes Gefühl, das mit der Ansicht des Films einhergeht. Aber was kann man gegen eine verfilmte Lebenserinnerung einwenden, die auf realen Geschehnissen beruht, gegen Authentizität.

„Unter Bauern“ erzählt die Geschichte der Familie Spiegel, aufgeschrieben von Marga Spiegel, der Tante des verstorbenen Präsidenten des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel. Die Schieflage wird augenfällig, als ganz am Ende Texttafeln eingeblendet werden. Weiß auf schwarz steht da zu lesen: „Von den 70 Millionen Deutschen zur Zeit des Dritten Reichs wurden bis heute 455 offiziell als ’Judenretter‘ anerkannt und geehrt.“ Das sind bestürzend wenige.

Zuvor aber hat Ludi Boekens Film 90 Minuten lang den gegenteiligen Eindruck erweckt – nämlich dass die Helfer gegenüber den Nazis in der Mehrheit waren. Das Münsterland erscheint als kleines gallisches Dorf. Loyalitäten aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs, lokalpatriotische Verbundenheit und religiös grundierte Nächstenliebe sind stärker als das Nazigift.

„Unter Bauern – Retter in der Nacht“, Mittwoch, 6. November, 20.15 Uhr, ARD

Vater Spiegel wird auf einem Bauernhof in einer verschlossen gehaltenen Kammer abgeschirmt. Im Ernstfall hält man ihm sogar einen Platz im Sterbebett der Bäuerin warm. Dort nachzusehen würde kein Nazischerge wagen. Frau und Tochter Spiegel überstehen die Kriegsjahre mit falscher Identität, unter Ausgebombten und Fremdarbeitern, auf einem anderen Hof. Es gibt immer mehr Mitwisser. Keiner verrät sie.

Wiederkehrendes Motiv

Der Stern dient dem Film als wiederkehrendes Motiv. Am Anfang, an der Westfront, 1918, Vater Spiegel als junger Landser bewegt sich in Richtung Kamera, bis das Eiserne Kreuz auf seiner Brust in Nahaufnahme zu sehen ist. Schnitt. 1943, an gleicher Stelle nun der gelbe Stern auf Armin Rohdes fülligem Leib. Auf einem Fest flattert ein in einem schwarzen Seidenhandschuh versteckter gelber Judenstern durch die Luft. Wieder will niemand unter den Gästen davon Notiz nehmen. Einer stellt trotzdem vorsichtshalber den Fuß auf den Stofffetzen.

Veronica Ferres, die die Mutter Spiegel spielt: „Ich hätte ihn wegwerfen müssen, aber ich hab’s nicht übers Herz gebracht.“ Niemand bringt stammelnde Verhuschtheit und dröhnendes Pathos so umstandslos auf einen Nenner wie sie. Das genaue Gegenteil und deshalb umso überzeugender ist die „Tatort“-Kommissarin in spe, Margarita Broich, als Bäuerin, robust und bodenständig. Am Ende kommen die Amerikaner, auf dem Jeep ein Stern. Die Tochter Spiegel: „Mama, unser Stern!“

Hitler-Porträt an der Wand

Auch als eine Nachbarin Marga Spiegel erkennt, verhält man sich korrekt. Die pubertäre Tochter der Bauernfamilie hat ein Auge auf den Hitlerjungen geworfen. Die Eltern müssen nun Klartext reden. Es folgt das, was man eine Schlüsselszene nennt. Mutter: „Anne, wir wissen, dass du ’n begeistertes BDM-Mädel bist. Dein Vater is sogar in der Partei.“ Vater: „Schon seit 1930. Weil sie Deutschland nach vorne gebracht hat und weil sie gut für die Bauern ist.“ Tochter: „Ja und?“ Mutter: „Trotzdem sind wir katholisch. Und du auch!“ Vater: „Der Bischof von Münster ist uns näher als Adolf Hitler.“

Später, wenn die Nachricht eintrifft, dass der Sohn an der Ostfront gefallen ist, nimmt die Oma sogleich das Hitler-Porträt von der Wand. Ohne Worte, gleichwohl vielsagend.

Dafür, dass die Westfalen als verschroben und maulfaul gelten, wird hier ziemlich viel erklärt und (über-)deutlich gemacht. Wahrhaftigkeit und Authentizität eines Films haben gewiss etwas damit zu tun, welche Wahrheiten er zeigt. Es zählt aber auch, welche Realität er verschweigt.

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