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TV-Ikone Hella von Sinnen wird 60Krass und verdienstvoll

Hella von Sinnen ist ein Geschöpf ohne Kunstgetue und mit künstlerischem Vermögen. Sie gilt als schräg, schrill, laut, undamenhaft. Glückwunsch!

Da war sie noch omnipräsent: Hella von Sinnen im Jahr 2000 (Archivfoto) Foto: ap

Als sie zum Fernsehen kam, war sie kulturell längst in einem schönen, aufregenden, interessanten Prozess der Selbstfindung ganz und gar bei sich: Hella von Sinnen war, als RTL sie mit Hugo Egon Balder 1988 für die Show „Alles nichts oder?!“ auf die Bühne des Aufzeichnungsstudios stellte, keine Newcomerin, in Köln vor allem keine Unbekannte. Sie lebte längst im lesbisch-schwulen Establishment von Köln, war mit Dirk Bach busenbefreundet, lernte bei der Theater- und Camp-Legende Walter Bockmayer das boulevardeske Theaterspielen, kannte Göttin & die Welt im LGBTI*-Kulturen gegenüber nicht gerade verschlossenen Rheinland, ortsüblich mit allen per Du.

Die Hella, das war ein Geschöpf ohne viel Kunstgetue, aber mächtig künstlerischem Vermögen. Sie gilt als schräg, schrill, laut, ja, vorlaut, als ungehörig, undamenhaft. Alles an ihr und durch sie lärmt, auch die Klamotten, deren Auswahl offenbar unter der Überschrift ausgesucht wurden: beige, in der lichtschluckend fahlen Variante? Ohne mich und niemals.

Sie konnte Slapstick. Sie hatte nichts dagegen, in, für die feinsinnigen Gemüter, trashigsten Shows sich mit Torten bewerfen zu lassen. Sie konnte sich entblößen, weil sie sich nicht zu blamieren wusste. Und Hella Kemper, gebürtige Gummersbacherin, ist politisch seit eh und je. Sie drehte diesen genialen TV-Sport zu Aids: Sie, Hella von Sinnen, sitzt im Supermarkt an der Kasse und will einem jungen Mann die Präservative abkassieren. Er hofft auf Diskretion. Aber Hella, die Frau mit dem guten Herz, grölt mit tragender Stimme, die es selbst gegen im Sturm wogende Kornfelder aufnehmen könnte, durch den Laden: „Tiiina, wat kosten die Kondome?“ Lernziel: Über das Sexuelle nicht schweigen, Aids verdient Aufklärung, nicht Angstmache.

In dieser kleinen Episode ist alles über diese Künstlerin enthalten, was man an Gutem über sie sagen könnte und muss: Sie war zu einer Zeit offen lesbisch, als dies in der öffentlich-rechtlichen TV-Welt gar nicht ging. Sie war out, als nicht geoutet zu sein als Naturzustand galt. Hella von Sinnen ist keine Etepete-Dame, sie ist laut, derb, lustig, bisweilen besoffen, oft liebevoll und furios sowieso.

Man darf dieser öffentlichen Figur als Avantgardelesbe gratulieren – so viele Mutige hat das Land ja nicht

Sie ist eine Figur immer gewesen, die früh die Ehe für alle als Bürgerrechtsprojekt begriff, die auf das Wort „lesbisch“ bestand und die Vokabel „queer“ eher für einen Begriff aus der Welt des Nebulösen hält. Sie gilt privat als zuvorkommend wie zupackend und solidarisch – und loyal. Mit ihrem verstorbenen und vermissten Freund Dirk Bach hat sie sich öffentlich engagiert, als dies noch gar nicht schicklich war. Weil ihre berufliche Heimat aber das Privat-TV war, konnte sie in diesem als „Unterschichtsfernsehen“ geschmähten Massenmedium umso besser für ihre Anliegen Reklame machen.

Am Samstag feiert sie ihren 60. Geburtstag. Man darf dieser öffentlichen Figur als Avantgardelesbe gratulieren – so viele Mutige hat das Land ja nicht. RTL wiederholt ihr zu Ehren einige Folgen von „Alles nichts oder?!“ in der Nacht auf Samstag.

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10 Kommentare

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  • Der Spot an der Supermarktkasse bleibt ein Highlight. Glückwunsch an Hella von Sinnen.

  • Gratulation Hella Kemper!



    Danke für Ihren großen Mut und den Spaß, den uns (Frauen) machen, lesbisch oder nicht.

  • Alles Gute und weiter jede Menge Energie. Es gibt noch viele Esel, die gegen den Strich gebürstet werden müssen.

  • Fast jeder Mensch, der heutzutage öffentlich auftritt, wird irgendwo als "Star" bezeichnet. Noch schrecklicher ist allerdings "Ikone". Soll der Autos sich die doch zu Hause an die Wand hängen, statt die taz damit zu belämmern!

    • @reblek:

      Bonn année - erfreulich mal wieder was gereblektes zu lesen - hm;)

      Aber. Die Ikonen-Wand unseres tazis designierten Masters of ESC - ist doch längst tuto completto voll. Wollnich^¿^



      Aber sowas von belämmert voll von - wa. Dat wüßt ich ever.



      Na - Si'cher dat. Da mähtste nix.



      Normal.

  • Naja, Hella von Sinnen ist eine Protagonistin des werbefinanzierten Free-TVs. Dadurch ist soviel geistige Umweltverschmutzung freigesetzt worden, dass es da meines Errachtens nichts zu Feiern gibt.

    • @APO Pluto:

      Hätten Sie damals den Mut gehabt, sich zu outen, dazu zu stehen und dafür einzutreten? Werbefinanziert finde ich auch nicht sooo toll. Seinerzeit hätte aber mit Sicherheit keine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt eine Hella von Sinnen inkl. Hugo Ego von Baldern ("der alte Mann") auf Sendung gehen lassen, obwohl die Zeit reif dafür war. Und Bayern hätte sich sowieso wieder geweigert zu senden…^^



      Also, DANKE Hella!



      Und an der geistigen Umweltverschmutzung haben das Dschungelkamp und Volksmusiksendungen einen weit aus größeren Anteil als alles andere.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Das Interessanteste an der Lobhudelei von Herrn Feddersen auf Hella von Sinnen war für mich die Aussage: "So viele Mutige hat das Land ja nicht."

    Auch wenn sich vortrefflich darüber streiten lässt, ob Frau von Sinnen diese Aussage im Positiven bestätigt: Stimmt. So viele Mutige hat das Land ja nicht.

    Und genau hier könnten die vielen Gretchenfragen ansetzen: WIESO hat dieses Land so wenige Mutige? WAS macht mutige Menschen aus? Wird das Zeigen von Mut gefördert? (Ich hätte noch mehr anzubieten. Aber mehr würde wahrscheinlich nur unnötig verunsichern.)

    Mein Tipp: mal ein wenig genauer auf die Unterscheidung von FORM und INHALT achten. Schrille Form allein bedeutet noch keinen Mut. Mut zeigt sich primär am Inhalt.

    Immer wieder gerne.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ..."undamenhaft"?



    Wusste gar nicht, dass es im 21. Jahrhundert dieses Adjektiv noch gibt?!

    • @81331 (Profil gelöscht):

      Ja wie^¿^ - JAF JAF - hat dafür & solches



      Nen extra Zettelkasten. Newahr.



      Normal.



      &



      unterm——er wäre doch so gern mal —



      Von - Sinnen. Gelingt ihm aber nich.



      Na - Si’cher dat. Dat wüßt ich ever.



      Liggers. Da mähtste nix. Normal.