TÜV Süd vor Gericht: Prozess wegen Dammbruchs startet
2019 tötete eine Schlammlawine in Brasilien 270 Menschen. Nun steht in München der TÜV Süd vor Gericht, der die Sicherheit eines Damms bestätigt hatte.
An diesem Dienstag beginnt der Schadenersatzprozess vor dem Landgericht München. Das Musterverfahren haben die Gemeinde sowie sechs Angehörige der Ingenieurin Izabela Barroso angestrengt, die bei dem Dammbruch getötet worden war.
Betreiber der Mine ist der brasilianische Megabergwerkskonzern Vale. Gegen ihn sind in Brasilien wegen des Unglücks verschiedene Prozesse angestrengt. Brumadinho liegt im Südosten Brasiliens im Bundesstaat Minas Gerais. In der Gegend werden in großem Maß Erz und andere Rohstoffe gefördert.
Es war am Mittag, als der oberhalb des Betriebs und der Ortschaft gelegene Damm einbrach. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 70 Stundenkilometern rauschten gewaltige Massen des giftigen Schlamms in einer Lawine nach unten, laut Experten waren es 11,7 Millionen Kubikmeter.
Wie viele Angestellte saß auch Izabela Barroso zu dieser Zeit in der Kantine beim Essen. Das Gebäude wurde völlig zerstört, die Menschen getötet, ebenso wie bei vielen weiteren Häusern der Ortschaft. Über Monate wurde nach Opfern gesucht, bis jetzt fand man 259 Leichen, 11 Menschen sind weiterhin vermisst.
In München werden nun nicht nur Izabela Barrosos Brüder und ihr Witwer beim Auftakt des Zivilprozesses erwartet, beide Seiten haben auch viele Anwälte engagiert. Allein 20 Millionen Euro hat das Unternehmen TÜV Süd laut einem Medienbericht für Rechtsanwalts- und Beratungskosten veranschlagt. Die Kläger werden von einer internationalen Anwaltskanzlei in Zusammenarbeit mit der deutschen Kanzlei Manner-Spangenberg vertreten.
„Unsere Beweise zeigen, dass der TÜV Süd diesen Damm als sicher zertifiziert hat, obwohl er nicht sicher war“, teilen Manner-Spangenberg mit. Die Anwälte sprechen von „Unternehmenskorruption und vorsätzlicher Fahrlässigkeit“.
Bei Vernehmungen in Brasilien hatten dortige TÜV-Mitarbeiter angegeben, vom Vale-Konzern unter Druck gesetzt worden zu sein, den Damm zu genehmigen. Das Verfahren könnte wegweisend für den juristischen Umgang mit Umweltkriminalität und deren Folgen werden. Es stellt sich als sehr komplex dar: Zuerst einmal muss geklärt werden, ob nach deutschem oder brasilianischem Recht verhandelt wird.
„Schreckliche Katastrophe“
Die Kläger streben Entschädigungsverhandlungen mit dem TÜV Süd an. Dieser teilt mit, dass der Dammbruch eine „schreckliche Katastrophe“ gewesen sei. Allerdings trage der TÜV Süd „keine rechtliche Verantwortung“ dafür. Es fehle die „Grundlage für eine Haftung“. Außerdem würden die Kläger – also die Angehörigen – bereits in Brasilien „umfassend“ vom Vale-Konzern entschädigt.
Dem widerspricht der Anwalt Jan Erik Spangenberg auf Anfrage. Zwar habe Vale mit dem Bundesstaat Minas Gerais eine milliardenschwere Vereinbarung abgeschlossen. Kein Kläger und kein Angehöriger erhalte aber eine Entschädigung.
Vielmehr werde das Geld für Infrastrukturprojekte verwendet, „deren größter Profiteur Vale selbst oder andere Bergbauunternehmen sein werden“. So werde damit etwa eine 100 Kilometer lange Ringautobahn gebaut, die vor allem den Unternehmen diene. In Brasilien stehe dieses Projekt massiv in der Kritik, denn dadurch komme es zu 4.000 Enteignungen, 20.000 Menschen seien betroffen. „Unter dem Deckmantel der Kompensation für eine der größten Umweltkatastrophen“, so Spangenberg, verursache Vale weitere Umweltschäden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz