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TTIP und Wirtschaftsminister GabrielIndustrie ist sauer

CDU und Wirtschaft attackieren SPD-Chef Sigmar Gabriel wegen des Freihandelsabkommens TTIP. Dieser zeige zu wenig Mut, so der Vorwurf.

Steht unter Druck: Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel Foto: reuters

Berlin taz | | Die CDU-Granden Wolfgang Schäuble und Volker Kauder schimpften bereits am Wochenende über den Koali­tionspartner, am Montag schüttete dann die deutsche Wirtschaft via Handelsblatt unisono kübelweise Kritik über Sigmar Gabriel aus. Der Wirtschaftsminister und SPD-Chef drohe „am Spagat seiner Ämter zu scheitern“, lies sich Lutz Goebel, Chef des Verbands Die Familienunternehmer, ­zitieren. „Parteivorsitzender einer identitätsuchenden SPD und Wirtschaftsminister der größten Volkswirtschaft Europas zu sein“ überfordere Gabriel.

Dieser lasse sich derzeit bei der Frage der europäischen Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) und Kanada (Ceta) „von den Mutlosen in der Partei“ vor sich hertreiben. Der Wirtschaftsminister hatte nach Abschluss der letzten Verhandlungsrunde Mitte Juli TTIP von Zugeständnissen der USA abhängig gemacht; seine Begeisterung für das besonders bei linken Sozialdemokraten unbeliebte Abkommen wirkt inzwischen deutlich gebremst. ­Allerdings: Mit Genossen gemein gemacht, die TTIP schon für „faktisch tot“ erklärten, hatte sich Gabriel auch nicht.

Das Erlahmen der Unterstützung verärgerte auch Deutschlands obersten Indus­trie­lobbyisten Ulrich Grillo: In der Debatte über die Abkommen gäben derzeit „Vereinfacher und Angstmacher den Ton“ an, schrieb der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) höchstselbst im Handelsblatt. Die Regierung, also ­Gabriel, beschränke sich nur noch „auf formale Unterstützungsbekundungen“ für das Abkommen. Er beobachte ein „Foulspiel aus Berlin“ und sei „tief enttäuscht“, wie wenig Verve viele Hauptstadtpolitiker derzeit dafür aufbrächten, für den Freihandel zu werben. „Statt ein Jahr vor der Bundestagswahl in den Wahlkampfmodus zu schalten im Wettstreit um die TTIP-kritischste Äußerung“, sollten „Regierung und Spitzenvertreter unserer Parteien die Nerven behalten“, schrieb Grillo.

Gabriel hatte erklärt, nach Lektüre der letzten TTIP-Verhandlungsprotokol­le zeitnah entscheiden zu wollen, ob weiterverhandelt werden soll. Tatsächlich steht er unter parteiinternem Druck: Wichtige SPDler sind gegen TTIP. Außerdem will die Partei am 19. September auf einem Konvent über das Schwesterabkommen Ceta entscheiden. Zwei Tage zuvor sind bundesweit Demonstrationen gegen beide Abkommen geplant.

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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Schäuble und Kauder "schimpfen".

    Goebel "kübelt".

    Grillo ist "verärgert" und "tief enttäuscht".

     

    So what?

     

    Die Interessen des "gemeinen Volkes" spielt am Ende vielleicht doch noch eine Rolle. Den "schwarzen Nullen", neoliberalen Wirtschaftsprostituierten und radikalen Marktfaschisten zum Trotz.

     

    Alles im rot-grünen Bereich. Weitermachen.

  • Ich habe all die "großkopfeten" TTIP-Jubler (einschl. Gabriel!) seit vielen Monaten immer wieder aufgefordert, doch bitte die Vorteile für den normalen Bürger, Verbraucher und Steuerzahler bitte mal plausibel, faktengestützt und nachvollziehbar darzulegen - ein arglistiges Ansinnen natürlich, denn wenn sie's könnten, hätten sie's schon längst millionenfach auf Hochglanz gedruckt an alle Haushalte verteilt.

     

    Die Krux ist, dass all diese wichtigen Lautsprecher in Politik und Lobby weder Zeit noch Lust haben, sich mit der Materie detailliert auseinanderzusetzen, sich auf die Interessen der Shareholder (die von der Absenkung von Umwelt- und Verbraucherstandards tatsächlich profitieren könnten) konzentrieren und das lästige "Fußvolk" (Verbraucher) mit wolkigem Geschwafel abspeisen.

     

    Aber bitte, meine Herren Schäuble, Kauder, Goebel und Grillo: Sie können ja die sachliche Begründung immer noch nachliefern. Nur: Ein bisschen mehr als "Freihandel ist gut!" sollte es schon sein.

  • Dieser Lobbyist meldet sich auch noch zu Wort und spriht sich für TTIP aus. Jetzt gibt es ja so ga rkeinen Grund mehr das Abkommen zu kritisieren :/

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Nachdem Gabriel sämtliche Positionen zu TTIP auf ihre demoskopische Wirkung durchgecheckt hat, wird er versuchen bis zu den Bundestagswahlen die stimmenmaximierende einzunehmen. Die eventuelle Handlung danach wird selbstverständlich davon nicht berührt.

    • 1G
      1714 (Profil gelöscht)
      @10236 (Profil gelöscht):

      Sehr gut beschrieben!!! In einem hat Lutz Goebel allerdings recht: unser Wirtschaftsminister ist deutlich überfordert...

  • Wozu Verkleinerungen und Vergrößerugen von Wirtschaftsräumen führen, kann man jetzt live am Brexit studieren.