TROTZ VER.DIS TELEKOM-STREIK: DER PREIS DER ARBEIT VERFÄLLT: Gewerkschaft in der Krise
Immerhin 96 Prozent der Telekom-Beschäftigten haben sich gestern für einen Streik entschieden – in dieser Deutlichkeit überrascht das Ergebnis der Urabstimmung. Es zeigt erstens die Wut der Betroffenen über immense Lohneinbußen. Zweitens ist die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, die in anderen Branchen nach einem gesetzlichen Mindestlohn rufen muss, im ehemaligen Staatskonzern Telekom gut organisiert. Auf lange Sicht jedoch wird der harte Kurs der Telekom-Manager Ver.di in eine Krise stürzen, in der die Gewerkschaft wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren hat: zum Beispiel weiteren Einfluss im Dienstleistungssektor.
Denn der Kampf, den die Beschäftigten der Telekom jetzt mit für das Unternehmen möglicherweise empfindlichen Nadelspitzen beginnen, ist – im Unterschied zu den jüngst erfolgreichen Metallern – ein reiner Abwehrkampf. Telekomchef René Obermann ist mit harten Forderungen in die Auseinandersetzung gegangen, die keine Gewerkschaft hinnehmen kann. Ein Kompromiss zwischen dem Status quo und den Forderungen der Konzernführung bedeutet aber in jedem Fall eine Verschlechterung für die Beschäftigten, selbst wenn die Ver.di-Verantwortliche das halb leere Glas als halb volles bezeichnen. Ein solcher Kompromiss wird die Mitglieder enttäuschen und lässt Austritte aus der Gewerkschaft erwarten. Zudem erschweren die geplanten Auslagerungen und Abspaltungen, die die Telekom nach dem Streik forcieren dürfte, die künftige Interessenvertretung. Das schwächt Ver.di weiter.
Schon heute bekommt die Gewerkschaft die Folgen einer zersplitterten Branche, die durch die Liberalisierung entstanden ist, zu spüren. In anderen Unternehmen habe sie Tarifverträge unterschrieben, deren Bedingungen weit unter denen der Telekom liegen, heißt es. Um überhaupt weiter mit am Tisch zu sitzen, hat Ver.di den Arbeitgebern schmerzhafte Zugeständnisse gemacht. Bei der Telekom wird es kaum besser werden – auch wenn man sich das Gegenteil wünscht, damit der Preis der Arbeit im Dienstleistungssektor nicht weiter verfällt. RICHARD ROTHER
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