T.C. Boyles „Blue Skies“ im Theater: Kleine und große Katastrophen
Das Deutsche Theater bringt T. C. Boyles Roman „Blue Skies“ auf die Bühne. Es ist ein Stück zwischen Klimakrise und Ehedämmerung.
Schon der Anfang ist vielversprechend stimmungsvoll. Ein weißgelber Bühnenmond schickt wanderndes Licht durch halbtransparente Stoffbahnen, die vom Bühnenhimmel auf die Rampe in der Kammer des Deutschen Theaters fallen. Große Schatten von Menschen mit Hüten und überdimensionierten Cowboystiefeln verfangen sich auf diesen Bahnen. Manchmal sieht man die Menschen auch.
Dann nämlich, wenn die Drehbühne sie wie Statuen hereinfährt und auf Bahnen, die sich manchmal berühren, kreisen lässt. Die später zur Schlangenfrau werdende Influencerin Cat (Mareike Beykirch) trifft so auf Schlangenverkäufer RJ (Manuel Harder) und erwirbt aus einer somnambulen Laune heraus ihren ersten Tigerpython als eine Art modisches Accessoire.
Weitere Bahnen ziehen unter anderem Cats Freund, späterer Ehemann und noch späterer Ex-Ehemann Todd (Jeremy Mockridge), ihr Bruder Cooper (Alexej Lochmann) und die gemeinsamen Eltern (Evamaria Salcher und Felix Goeser). Auf den Boden der Drehbühne sind Linien gemalt, die hübsch den Planeten-, Sternen- und Kometenbahnen aus dem Astronomielehrbuch ähneln. Sozialer Mikrokosmos und außerirdischer Makrokosmos spiegeln sich also ineinander. Sie spiegeln sich vor allem katastrophisch.
Das ist der Clou von T.C. Boyles erst im letzten Jahr erschienenen Roman „Blue Skies“. Und auch Regisseur Alexander Eisenach setzt in seiner Theateradaption ganz auf dieses Arrangement. Da sterben nicht nur ganze Tier- und Pflanzenarten aufgrund von Hitze und Wassermangel aus. Frittierte Heuschrecken und Insektenburger werden zu Ernährungshits in Kalifornien, dem Wohnsitz von Cooper und den Eltern.
„Blue Sky“, nach dem Roman von T.C. Boyle, Kammer des Deutschen Theaters in Berlin, weitere Aufführungen am 4.10, 7.10, 13.10 und 26.10.
Die Apokalypse kommt natürlich
In Florida hingegen, dem Land der Everglades, wo Cat ihre Influencerinnen-Show abzieht und wohin Todd nach seinen beruflichen Ausflügen als Bacardi-Vertreter zunächst häufig, später nur sporadisch und zuletzt gar nicht mehr zurückkehrt, steigt aufgrund von Dauerregen der Wasserspiegel. Sie könne ja per UPS ’nen Eimer Wasser ins brennende Kalifornien schicken, teilt Cat frotzelnd den Eltern im noch prä-apokalyptischen Mittelteil des Abends mit.
Die Apokalypse kommt natürlich. Der Wasserspiegel in Florida steigt und steigt, bis nicht mehr der Tesla, sondern das Boot zum Einkaufsvehikel wird. Termiten zerfressen das Haus in Florida, während in Kalifornien das Wasser nicht mal mehr fürs Haarewaschen reicht und auch die Villenbevölkerung komplett verwahrlost.
Der Bilder- und Metaphernreigen, den Eisenach aufruft und der hübsch düster von den Musikern Sven Michelson und Niklas Kraft vom hinteren Teil der Bühne her untermalt wird, erinnert an mittelalterliche Totentanzszenarien. Sogar die Heimstatt der Teufel findet eine klimakatastrophische Transformation: Die Waldbrände, die Kalifornien verwüsten, werden als Hölle beschrieben, die jetzt nach oben breche und aus der Gevatter Tod auf fahlem Pferd herausreite, um sich Mensch wie Tier zu greifen. In dieser Szene wabern ganz munter die roten und gelben Bühnenscheinwerfer (Lichtdesign: Marco Scherle).
Parallel zu den Bränden an der Westküste und den Regenfällen und Hurricanes im nordamerikanischen Osten erodieren auch die menschlichen Beziehungen. Cat versinkt in Windeln, Babygeschrei und alkoholischem Eskapismus, während Todd die professionelle Bacardi-Party-Welle reitet. Insektenforscher und Klimawandel-Kassandra Cooper verliert ausgerechnet durch einen Zeckenbiss einen Arm. Zu allem Überfluss zerquetscht Cats schön gemusterte Würgeschlange noch eines ihrer Kinder.
Eisenach erzählt die Untergangsszenarien mit einer interessanten Mischung aus Lässigkeit und Pathos. Da wird das Grauen einerseits eindrucksvoll ausgemalt. Ihm wohnt aber auch eine fast schon souverän zu nennende Einsicht ins Unvermeidbare des Schrecklichen inne. Die Figuren, besonders Cat und Cooper, sind Bänkelsänger*innen des eigenen Dramas wie auch des Dramas der gesamten menschlichen Gattung.
Das Schöne an dem Abend ist aber, dass er weitgehend frei von Belehrung bleibt. Er erschreckt auch nicht, liefert vielmehr den Soundtrack und die Visuals zur allgemeinen Untergangsangst. Im Kontrast dazu wirkt die soziale Abstiegsangst, mit der politische Kräfte wie AfD und BSW aktuell erfolgreich werben, geradezu klein und miesepetrig. „Blue Skies“ wird so zum schön kolorierten Eskapismustrip aus allerlei katastrophischen Szenarien. Und als sich im Finale der Eiserne Vorhang senkt, stellt sich sogar ein kurzer Moment der Kühlung ein. Denn das sitzende Publikum ist auf einmal getrennt von den Hitze ausstrahlenden Leibern der Spielenden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden