Syrische „Volksversammlung“: Syriens undemokratische Wahlen
In Syrien sind Wahlen angekündigt. Doch Gebiete der Drusen und Kurden werden ausgeschlossen und das Volk darf nicht direkt wählen.

Der nationale Wahlausschuss hat in der Hauptstadt Damaskus am Sonntag Unterausschüsse in den Wahlkreisen ernannt. Diese müssen innerhalb von 15 Tagen zuständige Personen für die regionalen Wahlgremien nominieren.
Kämpfer der Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) hatten im Dezember das Assad-Regime gestürzt. Danach hatte deren Chef Ahmad al-Scharaa eine Übergangsregierung gebildet. Im Januar hatte er das bestehende Parlament aufgelöst, die alte Verfassung außer Kraft gesetzt und im März eine Übergangsverfassung verabschiedet.
Zwischen dem 15. und 20. September soll es die erste Wahl eines Parlaments seit dem Sturz der Assad-Regierung geben. Al-Scharaa hat dazu eine Verfassungserklärung unterzeichnet. Derzufolge wird das Parlament, die „Volksversammlung“, für drei Jahre gewählt. Die Versammlung soll für die Gesetzgebung in Syrien zuständig sein, bis eine ständige Verfassung in Kraft tritt.Auf deren Grundlage soll es dann neue Wahlen geben. Die Regierung will ausländischen Beobachtern die Überwachung der Wahlausschüsse gestatten. Außerdem soll es eine Frauenquote von 20 Prozent geben.
Drusische und kurdische Gebiete ausgeschlossen
Am Samstag wurde bekannt, dass sowohl die mehrheitlich drusischen Gebiete im Süden als auch die mehrheitlich kurdischen Gebiete im Nordosten des Landes von den Wahlen ausgeschlossen werden sollen. Im Übergangsparlament würden Sitze für die drei Provinzen „reserviert“, sagte Nawar Nadschmeh, Mitglied der Wahlkommission, der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur Sana.
Der Prozess beginne in Suweida sowie in Raka und Hassakeh erst, wenn es nicht weiter definierte „Sicherheitsbedingungen“ zuließen. Die Sitze würden angeblich zu einem späteren Zeitpunkt besetzt. Wahlen könne es nur in Gebieten geben, „die vollständig unter staatlicher Kontrolle stehen“, so Nadschmeh.
In Suweida versucht die Übergangsregierung, mit Gewalt Kontrolle zu erlangen. Regierungstruppen und verbündete Kämpfer blockieren seit anderthalb Monaten die Hauptzufahrtsstraße in die bedeutendste mehrheitlich drusische Stadt im Süden Syriens. Es mangelt an Benzin, Medizin und Essen. Im Juli starben dort bei Massakern über 1.600 Menschen. Truppen, die dem Innenministerium unterstehen, begingen Morde an Drusen, wie das UN-Büro für Menschenrechte sowie die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichteten. Die völkerrechtswidrigen Tötungen sind durch Videos dokumentiert.
In kurdischen Gebieten Raka und Hassakeh im Norden und Nordosten von Syrien gibt es Differenzen zwischen der Selbstverwaltung und der syrischen Übergangsregierung über eine Vereinbarung vom 10. März zur Integration kurdischer Institutionen in die Zentralregierung. Kurdische Anführer lehnen den derzeitig vorgesehenen Wahlprozess als undemokratisch ab.
Die Selbstverwaltung erklärte am Sonntag, die Einstufung ihrer Regionen als unsicher sei erfolgt, um eine Politik zu rechtfertigen, mit der „mehr als fünf Millionen Syrer*innen in der Region“ die politische Teilhabe verweigert werde. „Diese Wahlen stellen lediglich eine Fortsetzung der Marginalisierung und Ausgrenzung dar, unter der die Syrer unter der Assad-Dynastie gelitten haben“, heißt es weiter in der Erklärung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Robert Habeck tritt ab
„Ich will nicht wie ein Gespenst über die Flure laufen“
Mikrofeminismus
Was tun gegen halbnackte Biker?
Berlins neuste A100-Verlängerung
Vorfahrt für die menschenfeindliche Stadt
Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen
Chefarzt muss seinem Arbeitgeber gehorchen
Rechtsruck in der Schule
„Zecke? Nehm ich als Kompliment“
Buchmarkt
Wer kann sich das Lesen leisten?