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Syrische Diaspora in Berlin„Es ist wie ein Traum“

Berlins syrische Community feiert den Sturz des Diktators Assad. Seit Langem gilt die Hauptstadt als Zentrum der Diaspora in Deutschland.

Der Umsturz ist ein Grund zum Feiern: die syrische Community in Berlin Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Ahmad Denno hat seit drei Tagen nicht mehr richtig geschlafen, Tag und Nacht liefen bei ihm Nachrichten zur Situation in Syrien. Seit islamistische Rebellen am 1. Dezember Dennos Heimatstadt Aleppo einnahmen, habe er gehofft und gebangt, sagt er der taz. In der Nacht von Samstag auf Sonntag dann die erlösende Meldung: Die Herrschaft von Baschar al-Assad ist vorbei. „Ich bin unbeschreiblich glücklich, anders kann ich es nicht sagen“, erzählt er. „Es ist wie ein Traum.“

Ahmad Denno ist einer von rund 49.500 Sy­re­r:in­nen in Berlin. Laut Statistischem Bundesamt waren Sy­re­r:in­nen 2023 die viertgrößte ausländische Gruppe in der Stadt, hinter Menschen aus der Türkei, der Ukraine und Polen. Zudem war Syrien im Oktober nach Angaben des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) weiterhin eines der drei Hauptherkunftsländer (neben Türkei und Vietnam) der nach Berlin kommenden Asylsuchenden.

Die Community in Berlin ist allerdings noch größer: Viele der Menschen, die in den Jahren 2015 und 2016 aus Syrien nach Deutschland geflohen sind, haben seit 2021 die Möglichkeit, sich einbürgern zu lassen. Im vergangenen Jahr gaben etwa 2.500 der rund 9.000 in Berlin eingebürgerten Personen Syrien als Heimatstaat an. Allgemein gilt Berlin als soziales, kulturelles und politisches Zentrum der syrischen Diaspora, auch wenn in Nordrhein-Westfalen zahlenmäßig mehr Sy­re­r:in­nen leben als in der Hauptstadt.

Auch Ahmad Denno ist seit 2022 deutscher Staatsbürger. „Seitdem habe ich zwei Länder“, sagt er. Bevor er nach Berlin kam, hat Denno Ingenieurwesen an der Universität von Aleppo studiert. Er habe sich zunehmend politisiert und Proteste gegen Assads Diktatur organisiert – bis ihn die Behörden eines Tages als Terrorist verfolgten und er schließlich 2014 fliehen musste.

Syrische Initiativen in Berlin

Um eine Brücke zwischen neu angekommenen und den alteingesessenen Ber­li­ne­r:in­nen zu bauen, gründete Denno 2016 den Verein „Eed be Eed“, was auf Deutsch „Hand in Hand“ bedeutet. Gemeinsam gestalten geflüchtete und nicht geflüchtete Menschen Magazine und organisieren Workshops. Es ist nicht die einzige deutsch-syrische Initiative in Berlin: In ihrer Expertise zur syrischen Community in Deutschland nennt die Migrationsforscherin Nora Jasmin Ragab Berlin ein „Hub“ der syrischen Zivilgesellschaft, da sich hier ein Großteil von Vereinen und deren Dachverbänden angesiedelt hat.

In Syrien gehe jetzt erst einmal darum, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu sichern und die Infrastruktur wieder aufzubauen, sagt Ahmad Denno. Seine Verwandtschaft könne nun zum ersten Mal wieder frei auf die Straße treten und ihre Wut auf das Assad-Regime frei herausschreien: „Das ist ein unbeschreibliches Gefühl der Freiheit.“

Hoffnung auf Gleichberechtigung

Denno hat selbst auch kurdische Verwandtschaft und hofft, dass die Rechte der Kur­d:in­nen in Syrien genauso wie die der anderen Minderheiten – wie von den islamistischen Rebellen angekündigt – eingehalten werden. „Wir wollen gleichberechtigt zusammenleben – egal ob sunnitisch, alawitisch, christlich oder kurdisch“, sagt er.

Gemeinsam mit etwa 5.000 Verbündeten hat Ahmad Denno am Sonntag am Kreuzberger Oranienplatz demonstriert. Dort und auf der Sonnenallee in Neukölln feierten Tausende ausgelassen und schwenkten die Flagge der syrischen Rebellen. Die Berliner Polizei meldete am Rand der Feiern auch einen Überfall auf einen Demonstranten.

Demnach haben Unbekannte am Sonntagabend am Dammweg in Treptow einen jungen Mann angegriffen und bewusstlos geschlagen, der eine syrische Fahne um die Schultern trug. Nach Angaben des Opfers waren die Angreifer fünf Männer, die libanesisches Arabisch sprachen. Der Staatsschutz der Polizei ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung mit möglichem politischem Hintergrund.

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