Swans-Konzert in Berlin: Auf die Fresse im Krematorium

Krawalllegende Michael Gira bespielt mit den Swans das Silent Green in Berlin: vielleicht etwas friedlicher als sonst – aber trotzdem sehr, sehr laut.

Michael Gira sitzt vorn an in rot gehaltener Bühne und reckt die Hände zum Himmel

Ekstase im Sitzen: Michael Gira dirigiert seine Swans Foto: Susan Moss/PR

Früher hat man sich noch freigenommen für die Swans. Nicht nur den Konzertabend, sondern mit zwei oder drei extra veranschlagten Tagen, um wieder auf die Beine zu kommen. Manche mögen auch vorsichtshalber noch eben ihre Angelegenheiten geregelt und die Liebsten in den Arm genommen haben. Man weiß ja nie. Schon gar nicht, wenn die Band beim Berlin-Gig ein ehemaliges Krematorium bespielt.

Die Mythen vom zerstörten Publikum sind so alt wie die sich ständig wandelnde Bandkonstruktion um Gründer, Frontmann und Alleinherrscher Michael Gira. Seit Anfang der 80er-Jahre tourt der Experimentalbrachialist durch Welt und Fachpresse, verkündet Abschiede, löst die Band auf und gründet sie neu – stets mit größerem Erfolg in Kritik und Szene als wirtschaftlich gesehen.

Doch voll ist es auch diesmal im Weddinger Silent Green: ausverkauft. Und selbst wenn’s nicht mehr ganz so laut schallert wie früher, ist doch nur mit verstöpselten Ohren auszuhalten, was der inzwischen 70-jährige Gira seine Swans da durchknüppeln lässt. Tatsächlich ist der Opener noch nicht ganz überstanden, als der erste Besucher von vorn aus dem Pulk nach draußen getragen wird.

Krach für alle

Das Publikum zeigt sich erstaunlich durchmischt: sehr weiß zwar nach wie vor, aber zumindest alters- und gendermäßig in schillerndster Vielfalt. Mag sein, dass der Bandneustart im Berghain vor ein paar Jahren seinen Teil dazu beigetragen hat, jedenfalls ist die gerontologisch betroffene Gitarren-Fraktion bei den Swans heutzutage nicht mehr unter sich.

Mindestens durch die Stöpsel ist für den Anfang auch nebensächlich, aus welchen Höllenmaschinen der Soundteppich angewabert kommt. Monotone Rhythmen stampfen sich durch den unterirdischen Konzertsaal, Gira spricht, singt oder krächzt seine prophetisch anmutenden Untergangsfantasien ins Mikro. Manch ei­ne:r im Publikum reckt verzückt die Hände zum Betonhimmel. Ob da nun wirklich wer transzendentale Anwandlungen hat, oder ob man auch als Gast zu performen hat … keine Ahnung.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Es funktioniert jedenfalls auch aus größerer metaphysischer Distanz. Und wer sich dann doch mal einen halben Song ohne Gehörschutz gönnt, kann tatsächlich auch musikalisch Freude dran haben. Dezente Folknoten zucken da rum, Kreischgesang und Gitarrenriffs harmonieren für sonderbar zeitlose Momente in ihrer Peitscherei. Manchmal groovt es fast ein bisschen, vor allem bei den gänzlich neuen Songs der zweiten Hälfte.

Gira selbst bleibt meist sitzen: auf einem Stuhl am Bühnenrand im Kreis der Band, Akustikgitarre auf den Knien. Offenbar wirklich vorbei sind die Zeiten, in denen er mit dem Rücken zum Publikum über die Bühne marschiert, seine Gastmusiker mit dem Gitarrenhals dirigiert, sie niederstarrt und anschnauzt, wenn ihm was nicht passt. Also immer.

Eher alt als milde

Von Altersmilde lässt sich allerdings auch wieder nicht so recht sprechen. Er fuchtelt schon noch viel rum mit den Händen und treibt sein Personal nach Laune durchs Set. Angst macht er aber nicht mehr und man hat auch nicht das Gefühl, die Band würde sofort die Flucht ergreifen, sobald der Chef mal wegguckt.

Dem Publikum gefällt’s. Selbst wer zwischendurch mal Luft oder Bier schnappen geht, kommt doch fast immer wieder rein. Und auch wer sich zwischendurch über die ewig lange Rampe aus dem Krematoriumskeller zurück an die Erdoberfläche schleppt, klingt unterm Strich zufrieden. Allerdings bin ich augenscheinlich nicht der einzige, der hier Geschichten von vorgestern zum Besten gibt: über irgendeine von Giras früheren „definitiv letzten“ Touren vor ein paar Jahren.

Vielleicht sind die Zeiten der großen Referenzband Swans aber auch wirklich vorbei. Und vielleicht ist gerade einfach keine gute Zeit für Prediger. „Haben wir das auch geschafft“, sagt draußen einer an der Friedhofspforte und lacht auf eine Weise, dass man schon zweifeln kann, ob er wirklich nur den einen lauten Abend meint. Aber sei’s drum. Selbst wenn es hier nur um einen Haken auf der Bucket List ginge – also Dinge, die man noch erleben will – dann könnte da auch immer noch sehr viel Bescheuerteres draufstehen als so ein Abend mit den Swans.

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Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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