Sven Giegold über Bankenlobby: "Eine unglaubliche Übermacht"
Der Lobby-Einfluss der Banken in der EU ist groß. Finance Watch werde dagegenhalten, diene dem Gemeinwohl und werde so Einfluss erhalten, sagt der grüne EU-Parlamentarier Sven Giegold.
taz: Herr Giegold, warum haben Sie mit Ihren Kollegen zur Gründung einer Antibankenlobby aufgerufen?
Sven Giegold: In Brüssel gibt es eine unglaubliche Übermacht der Finanzindustrielobbyisten. Und es gibt keine starke Gegenstimme. Es ist nicht so wie in anderen Politikbereichen, wo sich Organisationen wie Brot für die Welt oder Greenpeace für die Belange der Allgemeinheit einsetzen und die Interessen der Bürger vertreten. Das führt zu einem Ungleichgewicht in der Politik.
700 Bankenlobbyisten arbeiten in Brüssel mit einem Jahresetat von 300 Millionen Euro. Hat Finance Watch eine Chance?
Natürlich. Auch wenn Finance Watch klein anfangen wird, hat diese Organisation den großen Vorteil, dass sie Gemeinwohlinteressen vertritt. Solch eine Lobby findet viel mehr Gehör in Politik und Öffentlichkeit als diejenigen, die nur von ihren Gewinninteressen geleitet werden.
Wo erwarten Sie Unterstützung für Finance Watch?
SVEN GIEGOLD, Jg. 1969, studierte Wirtschaftswissenschaften/Politik. Mitbegründer der deutschen Sektion von Attac, seit 2009 für Bündnis 90/Grüne im Europaparlament.
Das Hauptproblem sind nicht die Hedgefonds oder andere Nebenakteure, sondern die Banken selbst. Im Sommer wird die Europäische Kommission ihren Richtlinienvorschlag zur Eigenkapitalausstattung der Banken vorstellen. International hat man sich bereits darauf geeinigt, als Konsequenz aus der Finanzkrise das Eigenkapital der Banken zu erhöhen. Aber zurzeit betreiben die Banken massives Lobbying, um das zu ändern. Da muss Finance Watch eingreifen.
Worum genau geht es bei dieser Richtlinie?
Banken müssen entsprechend dem jeweiligen Risiko von Finanzgeschäften Eigenkapital vorhalten. Dabei haben sie aber Möglichkeiten, ihre Zahlen schönzurechnen. Deshalb ist eine neue Art Schuldenbremse vorgesehen: Banken müssen mindestens 3 Prozent Eigenkapital für jedes Geschäft mitbringen. Das wollen vor allem auch deutsche Banken verhindern und setzen uns Abgeordnete entsprechend unter Druck. Außerdem werden wir in den kommenden Wochen diskutieren, ob die Beratung durch Banken besser kontrolliert werden soll.
Was kann Finance Watch tun?
Finance Watch sollte eigene Vorschläge machen, die über den internationalen Kompromiss hinausgehen, um ein Gleichgewicht herzustellen. Ich wünsche mir, dass Finance Watch eigene Ideen entwickelt sowie Argumente gegen die Forderungen der Banken, mit denen wir Abgeordnete dann arbeiten können. Außerdem sollte Finance Watch offenlegen, wer in der Brüsseler Finanzpolitik Lobbying betreibt und mit welchen Zielen.
Welche Lobbyisten melden sich bei Ihnen?
Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal hat es gar nichts mit meinen Politikfeldern zu tun. Der Verband der Automobilindustrie hat mir zum Beispiel ein Kartenspiel mit Luxusautos geschickt. Aber es kommen natürlich alle möglichen Finanzmarktakteure, zum Beispiel die Deutsche Bank, Sparkassen oder auch die Allianz zu mir. Das sind mehrere Anfragen täglich. Ich treffe die eigentlich ganz gern, es fehlen nur die Gegenspieler.
Welche Rolle werden Sie bei Finance Watch spielen?
Wir Abgeordneten haben die Initiative gestartet. Aber jetzt überlassen wir die Gestaltung der Zivilgesellschaft. Die interessierten Abgeordneten werden nur noch in einem Beirat ohne Entscheidungskompetenzen sitzen. Finance Watch soll ja die Bürger repräsentieren und nicht die Abgeordneten des Europäischen Parlaments.
INTERVIEW
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland