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Susanne Messmer freut sich über die Enthüllung einer Gedenktafel für Jurek BeckerCognac und Wackelpudding

In seinem berühmtesten und besten Roman überzeugte er durch eine erstaunliche Mischung aus schwerem, zeithistorischen Stoff und beiläufigem Plauderton.

Der 1938 im Getto von Łódź geborene Schriftsteller, Drehbuchautor und DDR-Dissident Jurek Becker wusste, wovon er schrieb. „Jakob, der Lügner“, 1969 im Aufbau Verlag erschienen und hernach in 20 Sprachen übersetzt, erzählt die Geschichte eines Getto-Bewohners, der durch eine Notlüge das Leben eines Freundes rettet und so die Kraft der Fantasie entdeckt. Durch immer weitere Lügen, die den Getto-Bewohner*innen immer mehr Hoffnung schenken, erfindet er eine Art Kehrseite zur Propagandamaschine der Nazis. Der Terror wird entdramatisiert und dadurch anfassbar. Allein dafür hätte Becker, der den größten Teil seines Lebens in Berlin verbracht hat, längst eine Gedenktafel verdient.

Heute bekommt er sie endlich – und das ist fast weniger interessant als der Ort, wo sie angebracht wird. Denn als Becker sich 1976 gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns und 1977 gegen den Ausschluss Reiner Kunzes aus dem Schriftstellerverband aussprach und seine Romane in der DDR nicht mehr verlegt werden durften, zog er in die Hagelberger Straße 10c, Kreuzberg.

Dort gelandet, haderte er nicht wie viele Au­to­r*in­nen aus der DDR lange mit seinem Schicksal, sondern entwickelte sich schnell zum brillanten Beobachter Westberlins. 1986 begann er, seinem Freund Manfred Krug die Fernsehserie „Liebling Kreuzberg“ auf den Leib zu schreiben: Bis heute ist diese Serie eine Fundgrube für alle, die sich für die geteilte und später wiedervereinigte Stadt interessieren. Immer wieder gibt es spannende Aufnahmen vom Landwehrkanal, wo sich in den ersten Staffeln die Kanzlei des Anwalts befindet, oft wird auch die Mauer thematisiert oder ist im Hintergrund zu sehen.

Vor allem aber war Beckers Erfindung des Cognac, Zigarren und Wackelpudding liebenden Anwalts Robert Liebling genial, dem leicht angestaubten Geschlechter-Rollenverhalten zum Trotz. Nicht nur, dass die Figur damals tatsächlich der „einzige Kleinbürger im deutschen Fernsehen mit Sexappeal“ (O-Ton Becker) war. Er stellt auch eine echte Berliner Type dar. Robert Liebling ist Erbe, kann es sich also leisten, Arbeit zu umgehen. Und wenn er doch einmal ranmuss, verteidigt er eine Berliner Mischung, die ebenso historisch zu werden beginnt wie die Berliner Mauer: die Mandanten aus dem Kreuzberger Arbeitermilieu und freischaffende Künstler ebenso wie Grundstücksbesitzer am Nikolassee.

Zur Enthüllung der Gedenktafel für Becker wird übrigens Kultursenator Klaus Lederer eine Rede halten. Auch das könnte interessant werden, hat er doch den Erhalt der Berliner Mischung ganz oben auf der Liste stehen.

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