Suizidhilfe in Deutschland: Auch psychisch Erkrankte können entscheiden
Das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben setzt einen „autonom gebildeten freien Willen“ voraus. Die Einzelheiten sind allerdings noch umstritten.
Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben setzt allerdings einen „autonom gebildeten freien Willen“ voraus, so das Karlsruher Gericht. Eine psychische Krankheit könne „eine erhebliche Gefahr für eine freie Suizidentscheidung“ sein. Die Richter:innen zitierten Sachverständige, wonach bei rund 90 Prozent der erfolgreichen Suizide eine psychische Störung vorlag.
Die Richter kommen aber nicht zum Schluss, dass eine psychische Krankheit generell eine freie Entscheidung ausschließt. Sie stellen fest, dass zwar 40 bis 60 Prozent der erfolgreichen Suizide auf Depressionen beruhen, die Depression aber nur bei 20 bis 25 Prozent der Suizident:innen zu einer eingeschränkten Einwilligungsfähigkeit führte.
An einer anderen Stelle des Urteils betont das Gericht, dass der freie Wille „unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung“ gebildet werden muss. Auch dies zeigt, dass aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht jede psychische Erkrankung die Freiheit der Entscheidung aufhebt, sondern nur die „akute“ Störung. Vor allem betont Karlsruhe, dass die Entscheidung zum Suizid von einer gewissen „Dauerhaftigkeit“ und „inneren Festigkeit“ getragen sein muss. Dieses Konstanz-Erfordernis betrifft nicht nur psychisch Kranke, aber auch.
Der Gesetzgeber kann sich jederzeit einschalten
Damit ist klar: Gerichte dürfen psychisch Kranken nicht generell das Recht auf selbstbestimmtes Sterben (und entsprechende ärztliche Hilfe) verweigern. Der genaue Maßstab, wann der Wille einer psychisch kranken Person beachtlich ist und wann nicht, muss von der Rechtsprechung aber noch entwickelt werden.
Die Entscheidung des Landgerichts Berlin am Montag und ein ähnliches Urteil des Landgerichts Essen vom Februar sind die wohl ersten entsprechenden Versuche. Die schriftlichen Urteilsgründe, die noch nicht vorliegen, werden genau diskutiert werden. Allerdings wird in beiden Verfahren der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Revision angerufen. Der BGH kann dann einen bundesweit gültigen Maßstab entwickeln.
Wenn der BGH die strafrechtliche Verurteilung der Ärzte aufrechterhält, können diese noch das Bundesverfassungsgericht anrufen, das den Maßstab des BGH verändern könnte, wenn er zu streng ist. Kommt der BGH zu Freisprüchen, ist der Weg zum Bundesverfassungsgericht jedoch verschlossen.
Auch der Gesetzgeber kann sich jederzeit einschalten und verbindliche Regeln aufstellen. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundestag ausdrücklich offen gelassen, „ein prozedurales Sicherungskonzept zu entwickeln“, also vor allem das Verfahren zu regeln. Dies versuchten zwei Gesetzentwürfe, die im Juli 2023 im Bundestag jedoch keine Mehrheit fanden. Beide Entwürfe sahen übereinstimmend vor, dass ein:e Fachärztin für Psychiatrie prüfen soll, ob eine „die autonome Entscheidungsfindung beeinträchtigende psychische Erkrankung vorliegt“. Nur nach dieser Prüfung (und einer Beratung) sollten Ärzte legal bei der Selbsttötung helfen dürfen.
Haben Sie suizidale Gedanken oder haben Sie diese bei einem Angehörigen/Bekannten festgestellt? Hilfe bietet die Telefonseelsorge: Anonyme Beratung erhält man rund um die Uhr unter den kostenlosen Nummern 0800 / 111 0 111 und 0800 /111 0 222. Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter http://www.telefonseelsorge.de
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