goetz, luhmann, etc.: Suhrkamp-Autoren lesen Suhrkamp-Autoren
Unter Abwesenden
Es ist so gemein. Da sind Werner Fritsch, Rainald Goetz, Thomas Meinecke und Andreas Neumeister angetreten, in der Buchhandlung Kiepert in der Hardenbergstraße von ihnen verehrte, verstorbene Suhrkamp-Denker zu lesen und haben sich alle Mühe gegeben, den Abend von akademischen Elementen frei zu halten. Und was war? Dies war: Irgendwann monierte jemand aus dem Publikum eben doch das „Weihevolle“ dieser Veranstaltung. Und damit war die ganze Idee des Abends im Grunde über den Haufen geworfen.
Überhaupt: Es hat schon Tage gegeben, an denen so ein gleichsam handgemachter Rahmen zu spannenden Debatten geführt hat. Hier nicht. Ganz am Anfang, als Rainald Goetz die einführenden Worte gefunden hatte, Suhrkamp sei ein alter, sicher König, hatte schon eine Zuschauerin gesagt: „Das hört sich ja an wie eine Totenrede.“
Als es ans Fragen gehen sollte, brachte erst eine ältere Dame das Gespräch auf Marcel Proust. Ihr verstorbener Mann sei der erste deutsche Proust-Übersetzer überhaupt gewesen. Und schließlich begann ein Mann mit schüchterner Stimme zu sprechen. Er erwähnte Adorno, Benjamin, auch Luhmann, und seine Ausführungen gipfelten in der Frage: „Wo gibt es heute die Autoren, die sich noch solche Mühe geben beim Schreiben?“ Auf dem Podium, sagte er implizit mit, sitzen sie jedenfalls nicht. Das war zu viel für Rainald Goetz, der entschieden abwinkte: „Schluss! Schluss!“
Der wohlmeinende Besucher hatte zwei Möglichkeiten: Er konnte sich fragen, woran es gelegen hat, oder er schaute die ganze Zeit Rainald Goetz zu, und das entschädigte sowieso für vieles; unter peinlichen Situationen scheint er geradezu körperlich zu leiden.
Was aber im Kopf blieb, sind die flüchtigen Dinge. Die Heroik, mit der Rainald Goetz mit den Wörtern kämpft, wenn er erklären will, warum er Niklas Luhmann verehrt. Die Konzentration und Wachheit, die Andreas Neumeister und Werner Fritsch, ansonsten sehr zurückhaltend, plötzlich entwickeln, wenn sie, nach Ausflügen zu Uwe Johnson (Neumeister) und Gilles Deleuze (Fritsch), doch noch eigene Texte lesen. Und die charmante Na-ja-auch-egal-Haltung von Thomas Meinecke, als er ohne Schulkenntnisse des Französischen die französischsprachigen Originalstellen von Walter Benjamins Baudelaire-Essay vorlas.
War es darüber hinaus eine müde Veranstaltung? Irgendwie schon (aber mit schönen Momenten). Einmal verwies Rainald Goetz auf den Soziologen André Kieserling und dessen Buch „Kommunikation unter Anwesenden“. Interessant, dass sie am Freitag nicht so gut funktionierte wie die Kommunikation mit den abwesenden toten Autoren. DIRK KNIPPHALS
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