Südkorea nach Politiker-Suizid: Ein Toter mit zwei Gesichtern
Südkorea streitet, wie es Seouls verstorbenen Bürgermeister erinnern soll: Als progressive Ikone oder mutmaßlichen Sexualstraftäter?

Fast zeitgleich konkretisierten die Anwälte von Parks früherer Sekretärin bei einer Pressekonferenz ihre Anschuldigungen gegen deren Ex-Chef: Über vier Jahre soll er die Frau sexuell belästigt, ihr anzügliche Fotos geschickt und sie unsittlich berührt haben. „Ich träume von einer Welt, in der ich als menschliches Wesen leben kann“, heißt es in ihrer Stellungnahme.
Der Suizid von Südkoreas zweitwichtigstem Politiker schockiert das Land: Am letzten Donnerstag sagte Park Won Soon seine Termine des Tages ab und nahm in Wanderkleidung gehüllt ein Taxi zu den Bergen nördlich des Präsidentenpalastes. Am nächsten Morgen wurde sein lebloser Körper nach siebenstündiger Suchaktion mit Helikoptern, Drohnen und Spürhunden entdeckt.
Dieses vermeintliche Suizidmotiv wird von koreanischen Medien kolportiert: Vergangene Woche hatte seine frühere Sekretärin Anzeige wegen sexueller Belästigung eingereicht. Park konnte wohl die öffentliche Scham nicht ertragen und versuchte offenbar sich auf tragische Art aus der Affäre zu ziehen.
Eine der höchsten Suizidraten der Welt
In Südkorea, das unter einer der höchsten Suizidraten der Welt leidet, nehmen sich immer wieder Politiker das Leben, um einem öffentlichen Tribunal zu entgehen oder um die vermeintliche Familienehre zu retten. Der ebenfalls linksgerichtete Ex-Präsident Roh Moo Hyun sprang 2009 von einer Bergklippe, nachdem Familienmitglieder der Korruption beschuldigt worden waren.
Der verstorbene Park war eine Ikone des progressiven Lagers. Als Menschenrechtsanwalt gewann er unter anderem den ersten Fall sexueller Belästigung. Seine aktivistische Ader behielt er auch während seiner Politkarriere bei: Er setzte sich gegen die wachsende Ungleichheit im Land ein wie gegen die korrupten Beziehungen zwischen der politischen Elite und den Konzernvorständen. Und er war starker Unterstützer von Frauenrechten. Doch war er offenbar auch Teil des Problems.
Erfolg der Me-Too-Bewegung
Die MeToo-Bewegung hat Südkoreas patriarchale Gesellschaft verändert: Ein vielversprechender Präsidentschaftskandidat für die Wahlen 2017 landete hinter Gittern, Volksliteraten wurden öffentlich angeschuldigt, übergriffige Regisseure geschasst.
Normalerweise berichten wir nicht über Suizide. Dies gibt der Pressekodex vor. Dort heißt es: „Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände.“ Ausnahmen sind zu rechtfertigen, wenn es sich um Vorfälle der Zeitgeschichte oder von erhöhtem öffentlichen Interesse handelt.
Zudem meiden wir Berichte über Selbsttötungen, da hierdurch die Nachahmerquote steigen könnte.
Sollten Sie von Suizidgedanken betroffen sein, so wenden Sie sich bitte an professionelle Helferinnen und Helfer. Diese finden Sie jederzeit bei der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 oder auch unter www.telefonseelsorge.de.
Park gilt nun als hochrangigster MeToo-Fall. Eine halbe Million Südkoreaner unterzeichneten in den letzten Tage eine Petition, um die fünftägige von der Stadtregierung angeordnete Trauer für ihn zu untersagen. Sie werfen Park Feigheit vor, denn mit seinem Tod wird sein mutmaßlicher Belästigungsfall automatisch geschlossen.
Das mutmaßliche Opfer, das bereits jetzt von einem wütenden Internetmob diffamiert wird, ist um ihre Stimme gebracht.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!