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Suchtberater über digitale Medien„Ein Handyverbot ist sinnvoll“

Mediensucht wird oft spät erkannt. Auch, weil digitale Medien zum Alltag gehören. Suchtberater Oliver Poelmann erklärt, worauf Eltern achten sollten.

Kontrolle über den eigenen Komsum verloren: Mediensucht wird oft später erkannt als andere Süchte Foto: Weronika Peneshko/dpa
Interview von Charlina Strelow

taz: Herr Poelmann, wann spricht man von einer Mediensucht?

Oliver Poelmann: Wenn jemand die Kontrolle über den eigenen Medienkonsum verloren hat. Wenn alles andere in den Hintergrund gerät und es negative psychosoziale Folgen hat, im Beruf, in der Schule, in der Beziehung. Die Folgen sind den Betroffenen bewusst, sie machen aber trotzdem weiter.

taz: Wie unterscheidet sich die Mediensucht von anderen Süchten?

Poelmann: Mediensucht wird häufig später erkannt. Das liegt daran, dass digitale Medien im Alltag kaum wegzudenken sind. Die gesellschaftliche Akzeptanz ist hoch. Da fällt es schwer, den Konsum ganz einzustellen. Man muss wirklich einen Umgang damit finden.

taz: Wie gelingt der Weg aus der Sucht?

Poelmann: Das ist ganz individuell. Viele machen eine Therapie, dort werden Pläne und Regeln erarbeitet. Grundsätzlich ist es wichtig, sein eigenes Konsumverhalten zu reflektieren. Wie oft konsumiere ich – und vor allem: Warum? Wenn man sich Sorgen um seinen Konsum macht, sollte man sich Grenzen setzen. Wenn man die nicht einhalten kann, dann hat man vielleicht ein Problem. Es ist auch wichtig, für körperlichen und seelischen Ausgleich zu sorgen. Echte Kontakte zu pflegen. Digitale Medien als Bereicherung sehen, ohne sich von ihnen kontrollieren zu lassen.

Bild: privat
Im Interview: Oliver Poelmann

45, Mediensuchtberater, hat 15 Jahre lang exzessiv Computerspiele gespielt. Spielte in „World of Warcraft“ die Rolle des Heilers – und überträgt seine Rolle nun ins reale Leben.

taz: Wie können Eltern ihre Kinder an digitale Medien heranführen?

Poelmann: Indem sie die psychosoziale Reife der Kinder beachten und die Geräte, die Nutzungsdauer und die Inhalte anpassen. Man kann Kindersicherungen einsetzen, die Schutz vor unangemessenen Inhalten bieten. Wichtig ist auch, ein echtes Interesse daran zu haben, was die Kinder gerne konsumieren – und aus welchem Antrieb heraus. Es ist sinnvoll, darüber mit den Kindern zu sprechen. Auch über Cybermobbing, Fake-News und Pornographie sollte man sprechen und deutlich machen, dass das Kind sich immer an einen wenden kann, wenn es verstörende Inhalte gesehen hat. Hilfreich ist es auch, ein gutes Vorbild zu sein. Kinder gucken sich nun mal sehr viel von den Eltern ab.

taz: Es wird debattiert, ob E-Sport als gemeinnützig anerkannt werden und Förderungen erhalten soll. Wie stehen Sie dazu?

Poelmann: Gemeinnützigkeit bedeutet für mich, dass es dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll. Ich stehe dem derzeit noch kritisch gegenüber. Um beim E-Sport erfolgreich zu sein, ist es wie bei jedem anderen Sport auch: Man muss viel üben. Der Einstieg erfolgt oft mit 13 oder 14 Jahren, und dann fand vorher ja schon Training statt. Das heißt, das Gehirn wird in jungen Jahren stark beansprucht. Die Spiele haben starke Wirkung auf unser Belohnungssystem. Bei vielen Eltern besteht meiner Erfahrung nach derzeit noch eine Unwissenheit, was das anrichten kann.

Vortrag „Mediensucht im digitalen Zeitalter: Einblick, Erkennung und Ausstieg“: 12.4., 15 Uhr, Computer-Museum, Bahnhofsplatz 10, Oldenburg. Der Vortrag wird am 25. 9. und 20. 11., jeweils um 19 Uhr wiederholt

taz: Was kann es denn anrichten?

Poelmann: Ich stelle mir eben die Frage, ob diese ganz jungen E-Sportler sich nicht selbst antrainieren, ihr natürliches Bedürfnis nach Anerkennung, Erfolg, Selbstwirksamkeit und sozialen Kontakten verstärkt auf digitale Weise zu befriedigen. Sich also durch das Zocken eine Befriedigung verschaffen. Und das ergibt eben einen sehr schmalen Grat zur Sucht.

taz: Ebenfalls viel diskutiert sind Handyverbote an den Schulen.

Poelmann: Ein solches Verbot halte ich für sinnvoll. Ich kenne kaum eine Schule, die kein Problem mit der Smartphone-Nutzung und seinen Folgen hat. Das zeigt sich an Unkonzentriertheit, Inhalte bleiben bei den Kindern nicht mehr hängen. Darunter leidet die Bildung. Wenn keine Smartphone-Nutzung angesagt ist, beobachte ich, dass es in den Pausen lebhafter ist. Die Kinder spielen miteinander. Echte soziale Kontakte und Interaktionen werden gefördert.

taz: Australien verbietet unter 16-Jährigen bald Social Media. Ist das sinnvoll?

Poelmann: Ich finde das ganz gut. Dass Instagram, TikTok, Snapchat und Co in Deutschland ab 13 Jahren erlaubt sind, ist zu früh. Wenn ich schaue, was mir da für Videos entgegenkommen, die zum Teil stark in eine sexuelle Richtung gehen, Gewaltvideos und Horror. Eine Regelung für Jugendliche ab 16 Jahren halte ich für sinnvoll. Oder man schafft Alternativen, die für Jüngere geeignet sind. Die eben genannten Apps sind es nicht.

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