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Kunst aus Ukraine und OstdeutschlandSuche nach Identität

In der Chemnitzer Ausstellung „Woraus wir gemacht sind“ trifft ukrainische auf ostdeutsche Kunst. Die Verbindung stimmt nachdenklich, geht aber auf.

Was bleibt vom Heldentum im Krieg? Eine Prothese von Künstler Nikita Kadan in der Ausstellung „Woraus wir gemacht sind“ Foto: Franziska Kurz, Pochen 2025

Trümmer liegen auf einem weißen Sockel – verformte Glasbausteine, die über Waschbetonfragmenten geschmolzen sind, als hätte ein gewaltiger Brand das Glas in den Beton gepresst. Ein Bild, das aus der Ukraine stammen und die Folgen eines russischen Luftangriffs bezeugen könnte.

Die Arbeit von Eric Meier, aufgewachsen in Frankfurt an der Oder, ist Teil der von Alona Karavai kuratierten Ausstellung „Woraus wir gemacht sind“ in den postindustriellen Hallen des Chemnitzer Wirkbaus. Gezeigt werden Werke junger ukrainischer und ostdeutscher Künstler:innen, die sich mit Identität und Fragilität, mit der Beziehung zwischen Materialität und Resilienz auseinandersetzen.

Karavai selbst, die früher als Kuratorin im Kunstzentrum Izolyatsia in Donetsk arbeitete, musste 2014 wegen des russischen Krieges im Donbas zusammen mit ihrer Tochter nach Iwano-Frankiwsk im Westen des Landes fliehen. Izolyatsa wurde von den russischen Besatzungstruppen zu einem Foltergefängnis umfunktioniert.

Aber Meiers Arbeit hat nicht direkt mit dem Krieg in der Ukraine zu tun. Der Künstler interessiert sich vielmehr für den Umgang mit typisch sozialistischen Baumaterialien, für das architektonische Erbe, das die DDR hinterließ, und die Formen, die es heute annimmt.

Wie das Material sich mit der Zeit ändert, finden auch gesellschaft­lich Verschiebun­gen darum statt
Die Ausstellung

„Woraus wir gemacht sind“. Pochen 2025 im Wirkbau, Chemnitz, bis 8. Juni

Hinter seinen kleinen Glas-Beton-Skulpturen ist die Fotografie eines abstrakten Betonreliefs des DDR-Künstlers Karl-Heinz Adler als Schwarz-Weiß-Druck an der Wand angebracht. Kratzer, Wasserflecken, Betonkrebs prägen die Oberfläche. Wie das Material sich mit der Zeit ändert, finden auch gesellschaftlich Verschiebungen darum statt, liest man aus Meiers Installation.

Lebensalltag zu Kriegszeiten

„Salisnist“, Ukrainisch für „Eisern sein“ prangt auf der Merch-Tasse der ukrainischen Eisenbahngesellschaft, die Dariia Kuzmych auf ihrem Knie abgestellt hat, während sie in der Badewanne sitzt und liest. In einer zweiteiligen Videoarbeit zeigt die Kyjiwer Künstlerin ihren Lebensalltag im Krieg.

Ihr rechtes Knie besteht infolge eines Verkehrsunfalls aus Metall, ist deshalb breit und abgeflacht – und bekommt so eine neue Funktion. Im anderen Teil der Videoarbeit balanciert sie darauf ein Weinglas, auf einer Couch im Wohnzimmer sitzend, sich mit ihren Freun­d:in­nen unterhaltend.

Es geht freilich um den Krieg, die Angst, ums Leben zu kommen, um gefallene Bekannte wie die kürzlich an der Front verstorbene Künstlerin Margarita Polovinko. Auch kleine Albernheiten und Anekdoten mischen sich ins Gespräch, untermalt von elektronischen Beats, die durch die gesamte Ausstellungshalle schallen.

Improvisierte Gräber an der Front

In der Ecke liegt ein Haufen Erde auf dem Boden, aus dem zartes Grün keimt. Umstellt ist es mit einem Kreis aus 15 kleinen durchnummerierten Betonplatten mit provisorisch modellierten Bildmotiven. Sie sehen aus wie Miniaturgrabsteine. Man muss unweigerlich an die improvisierten Gräber in den Frontgebieten der Ukraine denken, in denen die Überlebenden ihre Nächsten begraben.

An der Wand dahinter schlüsselt eine mit Bleistift geschriebene Legende auf, wem die Betonplatten gewidmet sind: dem Versteckten, dem Mobilisierten oder dem Verschwundenen.

Dasha Chechushkova geht es in der eindrücklichen Arbeit „Flower Bed“ um Männer, um ihre schwierige Lage in der patriarchal geprägten ukrainischen Gesellschaft, die gerade im gegenwärtigen Krieg, zumindest nach außen hin, nur Platz für Helden übrig hat.

Derweil illustriert Nikita Kadan, einer der bekanntesten Künstler aus der Ukraine, mit einer Beinprothese, was der Krieg für diese Helden körperlich mit sich bringt: den Verlust von Gliedmaßen.

Rassismus und Ausgrenzung

Ein riesiger, aufblasbarer rot-pink-gelber Stern hängt mitten im Saal gemächlich rotierend von der Decke. Minh Duc Pham, Sohn ehemaliger vietnamesischer Ver­trags­ar­bei­te­r:in­nen in der DDR, hatte ihn während einer Performance zur Eröffnung mit einem Föhn aufgeblasen und dazu Texte zu seiner bewegenden Familiengeschichte gelesen, die von Rassismuserfahrung und Ausgrenzung geprägt ist.

Bald wird ihr die Luft ausgehen: aufblasbare Skulptur von Minh Duc Pham Foto: Franziska Kurz, Pochen 2025

„Friendship Fatigue“, seine karikatureske Version des Völkerfreundschaftsordens der DDR, verliert stetig Luft und wird zum Ende der Schau von der Decke baumeln als leere Hülle, als die sich die ideologischen Konstrukte des realexistierenden Sozialismus letztlich erwiesen.

Es wäre schief, die Veränderungen, die der Krieg in der Ukraine mit sich bringt, mit den gesellschaftlichen Transformationsprozessen Ostdeutschlands gleichzusetzen. Doch das tut diese nur zweiwöchige Ausstellung nicht, die das Team der Pochen-Biennale um ihren künstlerischen Leiter Benjamin Gruner für Chemnitz initiiert hat.

Stattdessen illustriert „Woraus wir gemacht sind“ die aufrichtige Suche nach Identität, in einem Land, das sich gegen einen imperialistischen Angriff behaupten muss, und in einer Region, die nach der Wende mit Brüchen ringt – und sie forciert dabei kein Gleichheitszeichen auf.

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