Suche nach Coronatest in Neukölln: Auf dem Abstrich-Strich
Was tun, wenn die Warn-App warnt? Wer auf Corona getestet werden will, braucht Geduld, mobiles Internet – und sollte sich vor allem warm anziehen.
Mich hat’s erwischt – vielleicht jedenfalls. Die Corona-Warn-App hat mir mitgeteilt, dass ich ein „erhöhtes Risiko“ für eine Infektion habe, weil ich „mindestens einer nachweislich positiv getesteten Person über einen längeren Zeitraum und mit einem geringen Abstand begegnet“ bin. Am Samstag kam der Hinweis in leuchtendem Warn-Rot, die fragliche Begegnung, eigentlich sogar 11 (!) Kontakte, sei am Mittwoch geschehen. Ich überlege, wo und wann: in der taz, die wegen Corona-Homeoffice halb leer ist? Beim Mittagessen im Café gegenüber, wo die Tische zwei Meter auseinanderstehen? Im M29, der an diesem Tag auch nicht sonderlich voll war?
Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident, meint ja, die App sei ein „zahnloser Tiger“, weil sie „kaum eine warnende Wirkung“ habe. Was er damit sagen will, ist mir unklar – außer vielleicht, dass 16 Millionen NutzerInnen bei 80 Millionen EinwohnerInnen zu wenig sind, um als umfassendes Frühwarnsystem gelten zu können.
Da ich sie aber nun mal habe, fühle ich mich gewarnt – und nehme mir auch die Mahnung von SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach zu Herzen, gegebenenfalls mein positives Testergebnis mit meinen „Leidensgenossinnen“ zu teilen. Angeblich tun dies nur 60 Prozent – warum auch immer, schließlich hat man die App genau dafür.
Während ich in mich hineinfühle, ob sich schon erste Symptome bemerkbar machen, lese ich also deren Handlungsanweisungen: nach Hause gehen, auch dort Abstand halten und entweder den Hausarzt anrufen, den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst unter 116117 oder „Ihr Gesundheitsamt“.
Die Familie schon angesteckt?
Jetzt kommen mir doch leise Zweifel: Ich soll den Sohn nicht mehr umarmen, den Mann nicht mehr küssen, obwohl ich mich gesund fühle? (Zugegeben, die Nase läuft ein wenig, aber das macht sie im Herbst immer.) Habe ich meine Familie nicht sowieso schon angesteckt, bevor die Warn-App Alarm schlug? Da mir die vorsorgliche Isolation innerhalb der Wohnung doch etwas übertrieben – und kaum zu bewerkstelligen – zu sein scheint, verwerfe ich diesen Ratschlag der App und beginne zu telefonieren.
Der Hausarzt ist nicht da. Bei „meinem“ Gesundheitsamt Neukölln, ich wohne im Corona-Superhotspot, geht montagmorgens um 9 Uhr auch niemand ans Telefon. Bei der Hotline der Senatsverwaltung für Gesundheit, die mir auf der Webseite vom Gesundheitsamt Neukölln empfohlen wird, bin ich auf Warteposition 187, „die Wartezeit beträgt etwa 47 Minuten“ – ich lege auf.
Bei der Bandansage der 116117 wird mir die Webseite 116117.de empfohlen, um eine Praxis oder ein Testzentrum in meiner Nähe zu finden. Ich navigiere mich durch und bekomme die Adresse vom Corona-Abstrich-Zentrum (CAZ) auf dem Verwaltungsgelände des Bezirksamts in der Blaschkoallee 32 genannt. Allerdings habe ich auf der Webseite vom Gesundheitsamt schon gelesen, dass das CAZ aufgrund des „aktuell hohen Infektionsgeschehens“ keine Kontaktpersonen ohne Symptome testet – und auch andere nur nach Anmeldung (wobei da nicht steht, wie man sich dort anmelden könnte).
Am Ende hilft Google: Auf die Frage „Corona-Test wo in Neukölln“ bekomme ich tatsächlich einen Link zu „Covid-19-Praxen in Berlin“ auf der Webseite der Kassenärztlichen Vereinigung. Ich suche eine Adresse in meiner Nähe raus und radle los.
Durch's Praxisfenster
Die Praxis in der Bürknerstraße ist leicht zu finden: Eine 50 Meter lange Schlange wartender Menschen mit Mund-Nasen-Schutz weist den Weg. Alle halten weiße Zettel. Auf meine Frage, wo man die bekommt (offensichtlich handelt es sich um den Anmeldebogen), werde ich „um die Ecke“ verwiesen. Die Schlange dort ist noch länger. Die Sprechstundenhilfe ruft durchs Fenster: Heute keine Tests mehr, morgen ab 8 wieder. Ein junger Mann mit fiebrig-glasigen Augen spricht mich an. „Kein Test hier?“ Als ich verneine, seufzt er schwer. Seit Freitag sei er krank, ob ich wüsste, wo er hinkönnte. Ich google ihm eine andere Covid-Praxis auf der Karl-Marx-Straße, wo man ohne Anmeldung hinkann – und fahre selbst dorthin.
Auf dem Weg sehe ich eine weitere, etwas kürzere Warteschlange in der Friedelstraße. Doch auch für diese Covid-Praxis bin ich zu spät, Anmeldung morgens um 9 Uhr, „besser um 8“, heißt es durchs Schiebefenster. Angeblich, so eine der Wartenden, würden hier ohnehin nur 20 Tests pro Tag durchgeführt. Ich radle weiter.
An der Karl-Marx-Straße ist die Warteschlange 150 Meter lang. Eine Frau, 20 Meter vor dem Ziel, sagt, sie warte seit über einer Stunde, und schaut mit stoischem Gleichmut wieder in ihr Buch. Ich beobachte die Schlange: Soll ich mich anstellen? Schlagartig begreife ich, dass Corona wirklich eine Krise ist – wenn so viele Menschen in der Kälte ausharren müssen, viele hustend, fiebernd, schniefend. Und wenn ich gar kein Corona habe und erst vom Warten krank werde? Nach fünf Minuten hat sich die Schlange fast nicht bewegt. Für diesen Tag gebe ich auf.
Am Dienstagmorgen bin ich klüger. Um 7.50 Uhr habe ich meinen Platz in der Warteschlange Bürknerstraße eingenommen, 19 Menschen stehen vor mir. Ich habe ein Buch dabei, Butterbrote und trage eine Strumpfhose unter der Hose. Beim Warten schaue ich noch einmal in die App: Sie fragt mich, ob ich einverstanden bin mit einem Update, damit auch internationale Coronakontakte weitergegeben werden können. Klar, super Sache, mache ich.
Um halb neun verteilen zwei Sprechstundenhilfen Klemmbretter mit Anmeldebögen. Die Rollos der Praxisfenster werden hochgezogen, langsam schiebt sich die Schlange vorwärts. Eine Stunde später macht mir ein Mann in Seuchenschutz-Outfit durchs offene Fenster den Abstrich und gibt mir einen Zettel mit dem QR-Code für die App. „Bitte isolieren Sie sich, bis das Ergebnis da ist“, sagt er. Noch drei Tage also.
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