Stuttgart 21: Polizei plant D-Day
Sicherheitsbehörden bereiten sich auf die Zeit nach der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 vor. Die Rede ist von 9.000 Einsatzkräften.
STUTTGART taz | Die Verärgerung bei den baden-württembergischen Grünen über bekannt gewordene Polizeipläne im Zusammenhang mit dem Streit über Stuttgart 21 wächst. Nachdem zunächst öffentlich wurde, dass die Polizei Container aufstellen will, um Demonstranten in Gewahrsam zu nehmen, gibt es nun Berichte über einen sogenannten D-Day.
Der Plan: 9.000 Einsatzkräfte und massiver Zaun sollen das gesamte Areal um den Stuttgarter Hauptbahnhof abriegeln. "Es kann nicht nur das Baurecht der Bahn geschützt werden", mahnt der grüne Landeschef Chris Kühn angesichts dieser Pläne. "Es müssen auch das Demonstrationsrecht und die Versammlungsfreiheit geschützt werden."
Die Wochenzeitung Kontext, die der taz am Samstag beiliegt, hat online berichtet, wie sich die Polizei auf die Zeit nach der Volksabstimmung am 27. November vorbereitet. Dabei könnte es womöglich zum größten Einsatz der baden-württembergischen Polizei kommen.
40 Personen würden sich derzeit um die Szenarien kümmern für den Fall, dass der Tiefbahnhof weitergebaut wird. Dann stünden als Nächstes der Abriss des Südflügels und das Fällen weiterer Bäume an. Beides solle möglichst gleichzeitig und bis zum Stichtag 29. Februar geschehen. Denn dann beginnt wieder die Vegetationsperiode, in der keine Bäume gefällt werden dürfen. Die 9.000 Polizisten sollen in drei Schichten mit je 3.000 Leuten im Einsatz sein. Die Kosten dafür lägen im zweistelligen Millionenbereich. Im Präsidium firmiere der Einsatz unter "D-Day".
Der Sprecher des Stuttgarter Polizeipräsidiums, Stefan Keilbach, dementierte den Kontext-Bericht auf taz-Anfrage nicht. "Da stecken sicherlich Erkenntnisse drin, die nicht ganz weit hergeholt sind", sagte er etwas verschwurbelt. Gleichzeitig betonte er, dass es eine Vielzahl an verschiedenen Planungen und Varianten gebe, schließlich wisse noch keiner, was nach der Volksabstimmung am 27. tatsächlich passiere.
Auch die regierenden Sozialdemokraten halten sich noch zurück. Der Sprecher des Innenministeriums berief sich trotz mehrmaliger Nachfrage nur darauf, keine konkreten Pläne zu kennen. Es gebe zwar Vorbereitungen für den Fall, dass die Bahn weiterbauen will, so der Sprecher. "Aber wir können nicht in die Glaskugel schauen."
Kein Einfluss auf die Polizei
Sollten die Pläne umgesetzt werden, würden entsprechende Bilder der Einsätze wahrscheinlich den grün-roten Koalitionspartnern gleichermaßen angelastet. Die Grünen berufen sich inhaltlich noch auf die Position, keinen Einfluss auf die Polizei nehmen zu wollen. "Die alte Landesregierung hat sich in Polizeistrategien eingemischt. Das halte ich persönlich für einen Fehler", sagte Kühn der taz.
Doch der Ärger wird deutlich. Kühn konzentriert seine Kritik auf den Begriff D-Day, der für den Stichtag militärischer Operationen steht. "Ich habe die Befürchtung, wenn dieser Begriff benutzt wird, dass die Pläne an der Realität vorbeigehen." Die Bürgerbewegung sei schließlich immer friedlich gewesen. "Wer den Begriff im Kopf hat, kann nur die Fehler vom 30. 9. wiederholen." Damals führte der Einsatz von Wasserwerfern und Schlagstöcken zu einer Eskalation im Schlossgarten mit vielen, teils schwer Verletzten.
In der vergangenen Woche hatte bereits der Plan für Kritik gesorgt, Container auf dem Cannstatter Wasen aufzubauen, um dort bis zu 200 Demonstranten in Gewahrsam nehmen zu können. Die Polizei verteidigt diese Pläne mit Platznot, mangelnden Alternativen und mit der Aussicht, dass die Container beheizt und mit sanitären Anlagen ausgestattet seien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“