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Stuttgart 21 verzögert sichNo a bissle obe bleibe

Die Bauzeit für den umstrittenen Tiefbahnhof verlängert sich. Die Kosten steigen erneut an. Land und Bund betonen die Zuständigkeit der Bahn.

Vorbild Berliner Flughafen? In Stuttgart wird noch ein wenig länger gebaut Foto: dpa

FREIBURG taz | Das Bahnprojekt Stuttgart 21 wird teurer und die Bauzeit bis zu zwei Jahre länger als bisher offiziell angenommen. Das geht aus einem internen Bericht der Bahn hervor, aus dem am Wochenende mehrere Zeitungen zitierten.

Die Bahn prognostiziert für den Bau des Tiefbahnhofs und mehrerer Tunnel inzwischen Kosten in Höhe von rund 6,5 Milliarden Euro. Das von den Projektpartnern genehmigte Investitionsbudget – der sogenannte Gesamtwertumfang – liegt hingegen bei nur knapp 6 Milliarden Euro. Kritiker erwarten sogar noch weitere Kostensteigerungen auf bis zu 10 Milliarden Euro. Für die an den neuen Bahnhof anschließende Neubaustrecke in Richtung Ulm sind weitere 3,3 Milliarden Euro kalkuliert.

Das Land Baden-Württemberg versicherte am Wochenende, es werde über die vertraglich zugesicherte Summe von bis zu 930,6 Millionen Euro hinaus kein weiteres Geld für das Projekt Stuttgart 21 zur Verfügung stellen. Das hatten Grüne und CDU im Koalitionsvertrag als Ziel von „Sprechklauselgesprächen“ definiert, die bei Kostenüberschreitungen anstehen. Auch das Bundesverkehrsministerium betonte, bei Stuttgart 21 handle sich um ein eigenwirtschaftliches Projekt der Bahn, weshalb diese zusammen mit ihren Projektpartnern anfallende Mehrkosten decken müsse.

Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sagte am Wochenende zu den Verzögerungen: „Ich habe den Termin 2021 für die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 stets für sehr ambitioniert und für nicht sehr realistisch gehalten.“ Nun erwarte das Land von der Bahn „eine umfassende und glaubwürdige Information über den Stand des Projekts und die Kostenentwicklung.“ Darauf werde das Land bestehen.

Diverse Gründe für die Mehrkosten

Die Kostensteigerungen hätten verschiedene Gründe, heißt es bei der Bahn. Allein 166 Millionen Euro gingen auf das Konto von verzögerten Baugenehmigungen. Änderungen an Tunnelbauten schlügen mit weiteren 144 Millionen Euro zu Buche; diese seien aufgrund des mancherorts anstehenden Minerals Anhydrit nötig geworden, das bei Kontakt mit Wasser aufquillt und dabei enorme Schäden verursachen kann. Auch neue Anforderungen des Brandschutzes an die Fluchttreppen im Bahnhof kosteten Millionen und viel Zeit.

Ich habe den Termin 2021 stets für ambitioniert und nicht sehr realistisch gehalten

Winfried Hermann, Grüne

Die Bahn will nun durch Beschleunigung der Bauarbeiten gegensteuern, denn nach einer Faustformel kostet jedes Jahr Verzögerung bei diesem Projekt rund 100 Millionen Euro. So gibt es zum Beispiel Pläne, auf bestimmten Bauabschnitten die Arbeitszeiten zu verlängern.

Obwohl längst an diversen Orten gebaut wird, ist der Umbau des Stuttgarter Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation im gesamten Großraum der Landeshauptstadt noch immer umstritten. Gegner des Projekts argumentieren, dass trotz der bisherigen Ausgaben ein modernisierter Kopfbahnhof weiterhin günstiger sei als das Festhalten an dem Projekt. Derweil machen sich Stadtplaner Gedanken, wie halbfertige Bauruinen anderweitig genutzt werden könnten.

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9 Kommentare

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  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Man hat es ja nicht nur geahnt, sondern gewusst.

    Trotzdem wird weitergebaut.

    Zusätzliche zwei Jahre Maschinenbetriebsstunden, Arbeitslöhne, Preissteigerungen, ...

     

    Ein Rücktrittsgrund für die, die immer daran festhielten, zuvörderst die Kanzlerin.

  • Da lachen ja nicht 'mal mehr die Hühner, da kann die/der Steuerzahler*in nur noch heulen (= weinen), denn er/sie zahlt am Ende die Gesamtrechnung.

     

    Verspätete bzw. nicht rechtzeitig vorliegende Baugenehmigungen und das Mineral Anhydrit nun als Begründung zu nennen, zeigt die ganze Verlogenheit

    • @Der Allgäuer:

      Mit dem Anbohren des Anhydrit wurde noch gar nicht begonnen, bis jetzt wurden nur die Tunnelstücke gebohrt, welche außerhalb dieser Gesteinsschicht liegen. Erst wenn es im Anhydrit los geht, wird es richtig lustig werden.

    • @Der Allgäuer:

      ..., zeigt die ganze Verlogenheit, die das Projekt seitens derer, die bauen wollten und nun auch bauen, von Anfang an Bis heute.

       

      Es ist geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie es in einer Demokratie nicht laufen darf.

       

      Um jedoch "die Kirche im Dorf zu lassen" muss man auch heute noch ehrlich sagen, dass die GRÜNEN, als sie an die Regierung kamen, keine andere Möglichkeit hatten als den Bau weiter laufen zu lassen.

       

      Denn das baden-württembergische Volk hat - obwohl alle Argumente gegen S21 "auf dem Tisch" lagen - in einer Abstimmung "ja" zum Bau gesagt, und der Regierungspartner, die SPD, war mehrheitlich auch für den Bau.

       

      Was gerne nicht so offen gesagt wird ist, dass selbst im Großraum Stuttgart - und nicht nur in den Stuttgart fernliegenden Landesteilen - die Abstimmung "pro Bau" ausgegangen waren. (Also, trotz allem Fehlverhalten der Grünen bitte in diesem Punkt ein wenig Gnade für sie; ich bin kein Mitglied der Partei, und nun, nach dem Verlauf von CETA auch kein Wähler mehr.)

      • @Der Allgäuer:

        Abstimmung ja.

        Aber da wurden noch 4.500.000.000 Euro genannt.

        Mittlerweile 6.500.000.000.

        Also mindestens 2.000.000.000 Euro mehr.

        Da kann man schon mal behaupten, die Abstimmung sei nicht mehr bindend...

         

        Wenn Sie ein Auto bestellen - oder Vegan-Food - und dann wird es mindestens 44% teurer - fühlen Sie sich dann noch an Ihre Bestellung gebunden?

  • 3G
    32795 (Profil gelöscht)

    Die Grünen haben eine ganz schön große Klappe.

     

    Da wird jetzt der komplette Nah- und Fernverkehr durch die Baumaßnahmen zerschossen. Wenn es am Ende mehr kostet haben die Grünen nur zwei Möglichkeiten, zahlen oder den Schienenverkehr abhaken...

  • Das Pendant zum BER in Berlin...

     

    Wobei wie schon gesagt in Schwaben die Kritiker*innen vieles schon vor den Ausführungsplanungen aufgeführt hatten. Das muss man den Bürger*innen dort zugute halten.

  • Dieser Bericht aus der Feder von Herrn Janzing übernimmt die Angaben der Bahn AG leider unkritisch. In Wirklichkeit handelt es sich bei dem was jetzt angeblich aus internen Unterlagen zitiert wird leider auch nur um Projekt-Propaganda. Es wird nur zugegeben was nicht nur jedem Beobachter sondern auch den Betreibern schon seit Beginn des Projekts klar war: das Projekt wird teurer werden und der Zeitplan wird nicht eingehalten werden können.

     

    Nun tut man so als ob es bei den "zugegebenen" zusätzlichen zwei Jahren und den angeblich fest bezifferten Mehrkosten bleiben wird - um weiterbauen zu dürfen. Daß das Anhydrid-Mineral eine reale Gefahr und damit ein Kostenrisiko darstellt war und ist schon seit Jahren bekannt und davon wurde auf fast jeder Informationsveranstaltung der Projektkritiker berichtet - nur die Bahn AG und die Politiker welche sich mit deren Vorstand ins Bett legen tun so als ob das "neu" sei, in Bahn-Manager-Faselsprache ein "extern induzierter" Mehrkostenfaktor.

     

    Der taz wäre es zuzumuten daß sie, in der bisherigen Tradition, kritisch(er) berichtet und die immer verzweifelter werdenden Propagandamanöver der Bahn AG durchschaut.

  • "Das von den Projektpartnern genehmigte Investitionsbudget – der sogenannte Gesamtwertumfang – liegt hingegen bei nur knapp 6 Milliarden Euro. "

     

    Das ist falsch und wird derzeit in jeder Zeitung unkorrekt wieder gegeben. Die Verträge regeln lediglich die Kostenaufteilung bis zu einer Obergrenze von 4,5 Milliarden und als 2013 die Kosten bereits die 6 Milliarden überstiegen war keiner bereit sich an den Mehrkosten zu beteiligen. Lediglich auf Druck der Bundesregierung genehmigte der Aufsichtsrat der Bahn dann eine Obergrenze bis zu 6,8 Milliarden, ohne zu wissen und geklärt zu haben wie dabei die Differenz zu den 4,5 Milliarden aufgebracht werden soll. Beobachter gehen davon aus diese Frage wird früher oder später vor Gericht geklärt werden.