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Studie zum Verkehr in BerlinEine Frage der politischen Steuerung

Kommentar von Claudius Prößer

Das Auto spielt eine immer geringere Rolle – sagt zumindest eine aktuelle Studie. Wie immer lohnt auch bei dieser schönen Meldung ein genauerer Blick.

„Wir lassen uns das Auto in Berlin nicht verbieten“ (Kai Wegner, CDU) Foto: Sebastian Gollnow/dpa

D as Thema hat in den vergangenen Tagen Wellen geschlagen, die Grünen sprechen von einer „echten Sensation“. Die Rede ist von der jüngsten Ausgabe der Befragung „Mobilität in Städten“, die die TU Dresden gerade für 2023 vorgelegt hat.

Laut der Untersuchung sinkt in Berlin der Anteil des Autoverkehrs an allen Wegen kontinuierlich – von 30 (2013) über 26 (2018) auf 22 Prozent im Jahr 2023. Auch die Zahl der Autos pro Haushalt fällt leicht: 2013 und 2018 waren es 0,7 Pkw, aktuell sind es nur noch 0,6. Klingt wenig, ist aber ein Minus von 14 Prozent.

„In keiner anderen deutschen Stadt hat das Auto weniger Relevanz als Verkehrsmittel“, schlussfolgert Antje Kapek, die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Es sei an der Zeit, dass Schwarz-Rot das anerkenne, statt „blind die rückwärtsgewandte Verkehrspolitik des letzten Jahrtausends voranzutreiben“.

Das ist insgesamt sicher nicht falsch. Wie immer lohnt sich aber auch hier ein genauerer Blick: auf die Zahlen im Einzelnen, ihre Aussagekraft – und ihr Zustandekommen. Ohne ein pinch of salt, wie es auf Englisch so schön heißt, sollte man solche Daten nicht genießen, denn sie stammen aus Haushaltsbefragungen. Verzerrungen entstehen dabei sowohl beim Rücklauf als auch der Auskunftsbereitschaft.

Es gibt härtere Fakten

Es ist wie mit der Frage nach der Zahl der Zigaretten, die jemand raucht. Sinkt die gesellschaftliche Akzeptanz einer Handlung, reden Antwortende ihr Verhalten schön – oder entziehen sich. Relevanter für die Einschätzung sind härtere Fakten wie Verkehrszählungen.

Andererseits ist auch das Fahrrad nicht der große Gewinner. Zwar hat sich die Zahl der Räder pro Haushalt von 1,6 auf 1,7 erhöht, aber der Anteil an den Wegen stagniert bei 18 Prozent. Gleichzeitig sinkt der Anteil des ÖPNV von 27 auf 26 Prozent, während der des Fußverkehrs von 30 auf 34 Prozent springt.

Ein zu wenig beachtetes Detail ist die schrumpfende Mobilität insgesamt: von 3,5 auf 3,3 Wege pro Kopf und Tag, wobei die Länge der Wege von 5,9 auf 5,5 Kilometer schrumpft. Das hat viel mit den durch die Pandemie veränderten Gewohnheiten zu tun: Viele von uns fahren eben nicht mehr jeden Tag ins Büro.

Die interessante Frage ist aber die nach Ursache und Wirkung. Sinkt der Autoverkehr „von selbst“, und die Politik sollte darauf reagieren, indem sie ihm weniger Platz einräumt? Oder ist der Rückgang Effekt politischen Handelns?

Beispiel Parkgebühren

Ganz leicht lässt sich das nicht beantworten. Aber – um ein Beispiel herauszupicken – die Kosten für das Parken dürften heute oft den Ausschlag dafür geben, das Auto stehen zu lassen. Gemeint sind hier nicht die spottbilligen Anwohnervignetten, sondern die Gebühren am Zielort. Mittlerweile ist die Parkraumbewirtschaftung im Ring weitflächig ausgerollt. Tägliche Kosten von 10, 20 oder 30 Euro leistet sich aber niemand gern.

Wenn nun die CDU ihre Klientel bedient, indem sie die Zeit des Leidens für beendet erklärt, mag das falsch sein. Nur wird der Verweis nicht ziehen, dass die Menschen ja ohnehin nicht mehr Auto fahren wollen. Dass sie es weniger tun, ist schon Ergebnis politischer Steuerung.

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Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.
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