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Studie zu sexueller Gewalt in der DDRKindesmissbrauch war Tabuthema

Eine neue Studie zeigt: Täter wurden in der DDR nur selten verfolgt, sexueller Missbrauch von Kindern passte nicht ins Selbstbild der sozialistischen Gesellschaft.

Wo sind die Täter? Sexuellen Missbrauch an Kindern gab es in der DDR offiziell nicht Foto: dpa

Leipzig dpa | Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist in der DDR weitestgehend ein Tabu-Thema gewesen ist. Das geht aus einer Studie hervor, die am Mittwoch in Leipzig von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs vorgestellt wurde. „Es passte nicht in die heile, sozialistische Gesellschaft“, sagte Kommissionsmitglied und Ex-Bundesfamilienministerin Christine Bergmann bei der Vorstellung der Expertise.

Die Problematik sei in der DDR weit mehr und länger tabuisiert worden als in den alten Bundesländern, sagte Bergmann. Wie aus der Studie weiter hervorgeht, wurde über sexuellen Missbrauch von Kindern kaum in der Öffentlichkeit berichtet, und eine strafrechtliche Verfolgung der Täter gab es nur in Einzelfällen.

„Für die Expertise wurden 250 Fälle gesichtet und 150 genauer ausgewertet“, sagte Mitautorin Stefanie Knorr. Als Quellen hätten unter anderem Dokumente aus dem Archiv des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen und aus dem Bundesarchiv gedient. Die Expertise sei jedoch nur ein Anfang.

Der Studie zufolge gab es Opfer, die mehrfach betroffen waren: in der Familie und in den berüchtigten DDR-Heimen zur Umerziehung. So gebe es Beispiele, wonach Mädchen und Jungen ein auffälliges Verhalten aufgrund sexuellen Missbrauchs in der Familie entwickelt hätten. In Folge dessen wurden sie in ein Heim eingewiesen und waren dort erneut sexueller Gewalt ausgesetzt. „Für die Betroffenen war es unmöglich über ihre Erfahrungen zu sprechen, Hilfe und Therapie gab es nicht“, sagte Knorr.

„Die sexuelle Gewalt in den Heimen findet bislang kaum Beachtung“, sagte Corinna Thalheim, Vorstandsvorsitzende der Betroffeninitiative „Missbrauch in DDR-Heimen“. Wichtig sei es, dass eine Gleichstellung mit anderen Opfern des DDR-Regimes hergestellt werde.

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9 Kommentare

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  • Aufarbeitung ist immer gut, gerade, wenn daraus folgt, dass Opfern geholfen wird. Aber es darf gleichzeitig nicht in ein Bashing münden, an dem sich die BRD als einmal wieder viel weiter, toller, besser etc. darstellt als die DDR. Denn wer glaubt, dass es in der BRD weniger sexuelle Übergriffe auf Kinder gegeben hat in Institutionen wie Heimen, Internaten oder Familien, der muss doch blind sein. Vielmehr könnte man in einem Vergleich sehen, welche Faktoren, systemunabhängig, sexuellen Missbrauch begünstigen. Damit wäre dann auch etwas für die Prävention gewonnen.

  • Seltsam! Ist denn (beispielsweise) die Katholische Kirche exterritorial? Ich meine: Die DDR ist nach der BRD gegründet worden. Sie ist schon seit fast 30 Jahren nicht mehr existent. Die Katholische Kirche hingegen gibt es noch. Auch in der Bundesrepublik. Auf deren Gebiet sogar schon seit rund 1200 Jahren. Dass die Institution Kirche Kindesmissbrauch nach wie vor tabuisiert, wird ja wohl kaum jemand bestreiten, der schon mal mit dem Thema befasst war. So wenig, wie die „privilegierte Partnerschaft“ bestritten werden kann, die der Staat nach wie vor pflegt mit den christlichen Kirchen. Wie kann es denn da da heißen: „mehr und länger“? Und überhaupt: Wer hat etwas davon, wenn die verblichene DDR noch posthum für Entlastung sorgen muss? Die Jugendlichen aus der "Hasenburg", die gerade neulich erst Thema waren in der taz, weil sie nicht "über ihre Erfahrungen [...] sprechen" können und keine "Hilfe und Therapie" erfahren nach den Misshandlungen, die sie erfahren haben in einem der angeblich freiesten und fairsten Länder dieser Erde, ganz sicher nicht.

  • Erstens: DDR war unter Dauer-Propaganda-Feuer , so haben sie versucht wenig Stoff für diese "kalte Krieger" ( denen es nicht um Wohl der Kinder ging) zu geben.

    Zweitens: Es war nicht "systematisch" und massenhaft wie die katholische Kirche!

    Drittens: Was bringt jetzt eure verspätete DDR-Bashing?

    • @Mazdak:

      Zitat: „DDR war unter Dauer-Propaganda-Feuer“.

       

      Mag sein, dass der Versuch, „weniger Stoff“ zu liefern, gut gemeint war. Er war aber mit Sicherheit lausig gemacht.

       

      Wie kann man denn nur annehmen, ein eher egalitäres Ganzes ließe sich stabilisieren, indem man die Einzelteile destabilisiert? Ich meine: Es waren doch nicht nur die Kinder, um deren Wohl es angeblich permanent ging, die aber letztlich doch verraten wurden. In der DDR wurde doch jeder in den Dienst der „guten Sache“ genommen, bis es nicht mehr ging. Die vielen angeblich herrschenden Arbeiter und Bauern hat man gegängelt ohne Ende. Selbst Kombinats-Direktoren waren nicht sicher vor den Maßregelungen der Partei. Und sogar die wenigen, die reisen durften, mussten sich zensieren lassen von denen, die zwar keine Ahnung hatten von der Materie, aber immerhin den eisernen Willen, „dem Klassenfeind“ „weniger Stoff“ zu liefern. Das konnte doch nicht gut gehen!

       

      Sollte ich ein Bild wählen, würde ich die DDR mit einem Fachwerkhaus vergleichen, dessen Fachwerkstäbe allesamt vom Holzwurm angefressen waren. Der Lehn hat‘s nachher nicht gehalten. Die Konkurrenz jenseits des Eisernen Vorhangs war eher nach dem Prinzip der Kathedralen aufgebaut. Der „Westen“ hat wenigstens den tragenden Elementen, den Alphatieren aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur die Freiheit gelassen, nach Gutdünken zu schalten. Allerdings stößt das Prinzip grade an seine Grenzen. Die Stützpfeiler sind mittlerweile zu hoch und zu schmal, als dass sie das Gebäude noch stabilisieren könnten.

       

      Das Dumme daran ist: Wenn ein Fachwerkhaus einstürzt, kommt vielleicht eine zehnköpfige Familie ums Leben. Kollabiert eine Kathedrale, kann das Hunderte Gläubige das Leben kosten.

    • @Mazdak:

      "Drittens: Was bringt jetzt eure verspätete DDR-Bashing?"

       

      Klar, damit ihr Weltbild sauber bleibt, sollten diese Opfer mal noch ein Opfer zusätzlich bringen und sich um das Vergessen bemühen. Verspätet ist es schon gar nicht, weil die Opfer noch leben dürften.

      Bezeichnend ist aber schon, wie zum "Wohle aller" Einzelschicksale unter den Tisch fallen sollen. So funktionierte die DDR, um mal weiter zu bashen... ohne die Alt- BRD samt Kirche dabei außen vor zu lassen. Verteidigen Sie zuallererst Menschen und dann vll Systeme. Andersherum ist Schrott.

      • @lions:

        Würden Sie mir bitte erklären, werte Anamolie, was die Opfer davon ahben, dass diese Studie die untergegangene DDR prügelt? Ich habe das noch nicht begriffen. Sie offenbar schon.

    • @Mazdak:

      Ganz einfach: mal nicht nur an die Täter und deren Bestrafung denken, sondern an die Opfer, die jetzt etwa in den mittleren Jahren sein dürften, zumindest etliche.

      Für die kann man eine Menge tun, angefangen mit psychologischer Hilfe bis Wiedergutmachung.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder in der BRD wurde genauso totgeschwiegen, passte auch nicht in's Bild dieses angeblich freien, demokratischen Staates.

    • @81331 (Profil gelöscht):

      Es dürfte in der Tat eher ein gesamtgesellschaftliches Problem gewesen sein. Auch vor DDR und BRD wurde sexueller Missbrauch an Kindern kaum verfolgt. Das Sexualstrafrecht hatte insgesamt als Ziel, die öffentliche Ordnung und die "Besitzrechte" über Kinder und Frauen zu schützen. Ein Vergewaltiger wurde straffrei, wenn er das Opfer heiratete. Hier gab es in den letzten Jahrzehnten einen Bewusstseinswandel. Es ist etwas vermessen, der DDR vorzuwerfen, dass sie diesen Bewusstseinswandel nicht 30 Jahre vor der BRD vorweggenommen hat. Die Aufarbeitung des Missbrauchs (auch) in der DDR ist dagegen durchaus sinnvoll - aber nicht das spezifische DDR-bashing.