Studie zu jüdischen Ein­wan­de­r:in­nen: Doppelte Belastungsprobe

Immigration israelischer Jü­d:in­nen nach Deutschland ist nicht selbstverständlich. Eine Studie untersucht, warum die Zahlen dennoch steigen.

Drei Männer mit Kopfbedeckungen lesen hebräische Schriften

Die Schoah spielt bei einem großen Teil eine maßgebliche Rolle bei der Identitäts­bildung Foto: Emmanuele Contini/imago

Eine doppelte Last, „A Double Burden“, so lautet der Titel einer neuen Studie, die den Migrationsprozess von Israel nach Deutschland untersucht. Obwohl die Einwanderung von Israelis nach Deutschland medial häufig thematisiert wurde, war die wissenschaftliche Datenlage über die Gruppe in Deutschland lebender Israelis bisher relativ dünn.

Vergangene Woche wurde an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität vom Studienleiter Uzi Rebhun nun eine kritische Analyse vorgestellt, die diesem Missstand entgegenwirkt. Rebhun ist Soziologe, tätig an der Hebrew University in Jerusalem und der renommierteste Demograf Israels.

In der Vergangenheit untersuchte er unter anderem bereits die israelische Einwanderung in die USA. Gemeinsam mit den For­sche­r:in­nen Dani Kranz, Gastprofessorin an der Ben-Gurion-Universität, und Heinz Sünker von der Bergischen Universität in Wuppertal führte er die erste Studie dieser Art durch.

Das auf vier Jahre angelegte Forschungsprojekt lässt nun erstmals ein aussagekräftiges Bild davon zu, wie genau sich die Gruppe israelischer Ein­wan­de­re­r:­in­nen nach Deutschland zusammensetzt, welche Motive und Einstellungen ihre Migration bedingen und auch welche Erfahrungen mit Antisemitismus sie machen. Einen etwas genaueren Blick wirft die Studie, die verschiedene sozialwissenschaftliche Ansätze kombiniert, auch auf gesellschafts- und arbeitsmarktpolitische sowie biografische Aspekte der noch recht jungen Einwanderungsbewegung.

Positives Deutschlandbild

Eine Selbstverständlichkeit ist die Einwanderung israelischer Jüdinnen und Juden nach Deutschland bis heute nicht. Was sich jedoch anhand der Studienergebnisse auf bemerkenswerte Weise niederschlägt, ist ein positives Deutschlandbild. Studienteilnehmende gaben mehrheitlich an, in ihrem Familien- und Freundeskreis starke Unterstützung für ihre Absicht der Auswanderung nach Deutschland erfahren zu haben.

Als Gründe für ihre Migration nach Deutschland, die seit den nuller Jahren stetig an Fahrt aufnimmt, geben die meisten professionelle und ökonomische Gründe an. Auch die deutsche Kultur erweist sich laut der Studienergebnisse als attraktiver Faktor. Die Bildungsaussichten in Deutschland sind dabei für viele Israelis ausschlaggebend. Der überwiegend akademisch gebildete Teil der Eingewanderten sieht in Deutschland die Möglichkeit, die eigene Laufbahn voranzubringen. Bemerkenswert: Über 50 Prozent gaben als Auswanderungsgrund ei­ne:n deut­sche:n Part­ne­r:in an.

Die Einwanderung der Israelis steht unter dem Eindruck der Geschichte. Mehr als die Hälfte der rund 20.000 Eingewanderten, von denen 60 Prozent in Berlin leben, sind Nach­fah­r:in­nen von Holocaustüberlebenden. Bei einem Drittel der Eingewanderten stammen die Vorfahren aus Deutschland. Die Schoah spielt bei einem großen Teil der Einwanderer:innen, so die Analyse, eine maßgebliche Rolle bei der Identitätsbildung.

Die eingewanderten Israelis sind auffallend jung. Rund 80 Prozent sind zum Zeitpunkt der Immigration jünger als 34 Jahre. Die Studie legt nahe, dass sich ein Teil der Ausgewanderten von Israel und ihrem Jüdischsein distanziert hat. Das zeige die hohe Anzahl gemischter Ehen sowie der Umstand, dass insbesondere Deutschland als Auswanderungsziel gewählt wurde. Ein Blick auf die Zahlen verrät allerdings auch, dass gerade einmal 13,2 Prozent der Befragten angaben, sich überhaupt nicht mit ihrem Heimatland Israel zu identifizieren.

Antisemitismus und dessen Rolle für Ein­wan­de­r:in­nen

Die Ausgewanderten betrachten sich als überwiegend säkular, lediglich 20 Prozent finden ihren Weg in die einheimischen jüdischen Gemeinden. Die israelische Auswandererschaft zeigt sich als eng vernetzt, anstelle einer religiösen zeige sich häufig eine kulturelle Praxis, bei der insbesondere jüdische Feiertage weiterhin eine hohe Bedeutung für die Stu­di­en­teil­neh­me­r:in­nen hatten. Insgesamt zeige sich laut der Studie, dass die Unterschiede der ausgewanderten Israelis insgesamt viel größer seien als deren Gemeinsamkeiten.

Rebhuns Untersuchung beschäftigt sich auch mit dem Thema Antisemitismus und der Rolle, die er für die Ein­wan­de­re­r:­in­nen spielt. Die Publikation benennt vornehmlich den Faktor des israelbezogenen Antisemitismus, häufig tritt er im Zusammenhang mit der Israelboykottbewegung BDS in Erscheinung.

Teil­neh­me­r:in­nen begegneten aber sowohl alten als auch neuen Formen des Antisemitismus. 61 Prozent gaben an, dass der Antisemitismus in der Öffentlichkeit in Deutschland grundsätzlich problematisch sei. Als ziemlich stark beziehungsweise sehr stark gaben ihn rund 25 Prozent der Israelis an. Im Vergleich schätzten 85 Prozent der in Deutschland lebenden nichtisraelischen Juden den Antisemitismus als ziemlich stark oder sehr stark ein – ein auffälliger Unterschied, der genauerer Betrachtung bedarf.

Für zukünftige, weiterführende Untersuchungen, die Zusammenhänge wie diesen analysieren, dürfte die bemerkenswerte demografische Grundlagenarbeit von Uzi Rebhun, Dani Kranz und Heinz Sünker zentrale Bezugsquelle werden.

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