piwik no script img

Studie zu globaler Corona-InfektionsrateDie Dunkelziffer

Über eine halbe Milliarde Menschen könnten mit Sars-CoV-2 infiziert worden sein. Eine Herdenimmunität ohne Impfung ist aber nicht in Sicht.

Mit Blut gefüllte Röhrchen für einen Corona-Antikörper-Test Foto: rheinmainfoto/imago

Berlin taz | Die globalen Infektionszahlen mit Sars-CoV-2 könnten erheblich höher liegen, als die WHO bislang angenommen hatte. Eine am Mittwoch veröffentlichte kanadische Metastudie der University of Toronto beziffert die Zahl der bis zum 17. November mit dem Coronavirus infizierten Personen auf 643 Millionen gegenüber den von der WHO geschätzten 54 Millionen. Die Studie ist eine zusammenfassende Analyse von 338 teilweise unveröffentlichten Studienberichten mit über zwei Millionen Proband*innen aus 50 Ländern.

Statt bestätigte Infektionen zu zählen, hatten die Studien die Verbreitung spezifischer Antikörper in der Bevölkerung ermittelt, die sich als Immunreaktion auf eine Infektion mit dem Coronavirus bilden. So können auch diejenigen ermittelt werden, die bereits eine Infektion durchgemacht haben, aber sich nicht testen ließen oder deren Krankheit asymptomatisch verlaufen war.

„Wir haben die bis dato größte Sammlung von Antikörperstudien zusammengestellt und kuratiert“, schreibt Co-Autor Niklas Bobrovitz der taz. Zudem sei sie die bislang einzige Studie, die die relativ hohe Ungenauigkeit der Antikörpertests mit einbezieht. Auch das Robert-Koch-Institut hatte am 1. Oktober eine groß angelegte Antikörperstudie gestartet.

Ziel der Metastudie war es, demografische Unterschiede in der Verbreitung von Sars-CoV-2 finden, um Hochrisikogruppen zu identifizieren und Informationen für die Gesundheitspolitik bereitzustellen. Die Studie geht insgesamt davon aus, dass sich bislang gut 3 Prozent der Weltbevölkerung infiziert haben. International gibt es aber deutliche Unterschiede. So schwanke die Durchseuchung in Ländern mit niedrigem oder hohem Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwischen 1 und knapp 19 Prozent.

Marginalisierte Gruppen besonders gefährdet

Darüber hinaus konnte die Studie feststellen, dass besonders Menschen, die in vielen Ländern marginalisiert sind, ein höheres Risiko haben, am Coronavirus zu erkranken und auch daran zu sterben. So tragen schwarze Menschen durchschnittlich ein doppelt so hohes Risiko, während Indigene sogar ein mehr als viermal so hohes Infektionsrisiko haben. Das liege der Studie zufolge vermutlich an struktureller Ungleichheit, deretwegen Angehörige dieser Bevölkerungsgruppen vor allem in schlecht bezahlten, aber exponierten Berufen arbeiten. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam jüngst eine hochrangige Studie der Stanford University.

Auch Menschen, die in der Gesundheitsversorgung oder der Pflege arbeiten, sowie vorerkrankte und ältere Menschen seien stärker gefährdet. Bei den Geschlechtern konnte die Studie hingegen keine Unterschiede feststellen. Gleichzeitig kritisieren die Forscher*innen aber, dass nur wenige Studien zur Situation in Ländern mit niedrigem BIP vorliegen. Auch mangele es an Studien, die sich mit Wohnungslosen oder Pflegepersonal auseinandersetzen.

Gleichwohl geben die Forscher*innen zu bedenken, dass gut ein Drittel der untersuchten Studien nur bedingt vergleichbar sei. Dennoch könnten Sie die Zahl der tatsächlichen Infektionen sogar unterschätzt haben, da etwa Menschen untersucht worden sein könnten, bevor diese Antikörper gebildet hatten. Auch ist anzumerken, dass es sich bei der Studie um einen Preprint handelt, das heißt, dass sie noch nicht von anderen Forscher*innen kritisch überprüft worden ist.

„Der Großteil der Bevölkerung bleibt anfällig für eine Infektion“, konstatiert Studienautor Bobrovitz. Die gesundheitspolitischen Maßnahmen müssten verbessert werden, „vor allem um Gruppen zu schützen, die überproportional von Sars-CoV-2 betroffen sind“. Zudem müsse international die Testkapazität ausgebaut sowie der Zugang zu Tests erleichtert werden. Einer Durchseuchung ohne Impfstoff erteilt die Studie eine Absage. Denn die sei nicht ohne hohe Todeszahlen zu bekommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Mittlerweile sollte bekannt sein, dass die allermeisten Covid-19-Antikörperstudien nicht das Silizium wert sind, in dem sie gespeichert wurden.

    Es gibt keine von Menschen erzeugten Antikörper, die an SARS-CoV-2 und NUR an dieses binden. Unser Immunsystem ist nicht in der Lage, eine Art Coronaviren von den anderen zu unterscheiden; was im Detail passiert, ist nicht ganz klar, aber es sieht ganz so aus, als würden unsere Antikörper an alle Coronaviren binden, aber an keines davon gut genug, um eine robuste Immunität gegen Covid-19 (und MERS, SARS - falls das nicht ausgestorben ist -, und die mindestens 4 Arten saisonaler Coronaviren, die den Großteil aller "grippalen Infekte" verursachen) zu induzieren. Es gibt mittlerweile laborgenerierte Antikörpermischungen, die SARS-CoV-2 und NUR dieses erkennen, aber davon gibt es noch lange nicht genug für umfassende Testungen.

    Kurz gesagt, da wurde in den wenigsten Fällen auf SARS-CoV-2 getestet, sondern auf humanpathogene Coronaviren als gesamte Familie - und die infizieren jedes Jahr rund 10% der Weltbevölkerung, ohne dass jemand dagegen länger als ein paar Monate immun würde. Die von Streeck und Ioannidis behauptete CFR von 0,35% ohne große nationale Unterschiede erklärt sich damit ebenso - die schmeißen einfach Covid-19 und die niemals tödlichen grippalen Infekte zusammen.

    Es gibt mittlerweile auch genug umfassende PCR-Testungen über Zeiträume von 2 Wochen, mit denen sich eine Covid-19-Erkrankung, ob symptomatisch oder nicht, zweifelsfrei nachweisen lässt (zB bei den Tönnies-Ausbrüchen) - und die ergeben ein komplett anderes Bild: in den am stärksten betroffenen Gebieten ist die Infektionsrate gut 5%, anderswo weit weniger, und die CFR (bzw IFR, bei umfassenden Tests) liegt meist zwischen 2 und 5%, aber variiert je nach Umständen zwischen knapp 1% und über 30%.

    • @Ajuga:

      Ähm leider falsch. Die Spezifität der "richtigen" Antikörperteste liegt bei ungefähr 99,8%, es werden also nur in 0,2% auch andere Coronaviren erfasst.

      • @charly_paganini:

        Falsch? AJUGA hat doch die „richtigen“ Antikörpertests berücksichtigt



        „Es gibt mittlerweile laborgenerierte Antikörpermischungen, die SARS-CoV-2 und NUR dieses erkennen, aber davon gibt es noch lange nicht genug für umfassende Testungen.“



        Viel bedeutender scheint mir diese Unterscheidung die AJUGA (implizit) macht



        1.Die (billigen falschen) Antikörpertests können nicht zwischen den gegen SARS-CoV-2 und SARS, MERS, und gewöhnlichen Coronaviren gebildeten menschlichen Antikörpern unterscheiden.



        2.Die Antikörper des Immunsystems können nicht zwischen SARS-CoV-2 und SARS, MERS Viren, und gewöhnlichen Coronaviren unterscheiden. „Unser Immunsystem ist nicht in der Lage, eine Art Coronaviren von den anderen zu unterscheiden; was im Detail passiert, ist nicht ganz klar, aber es sieht ganz so aus, als würden unsere Antikörper an alle Coronaviren binden, aber an keines davon gut genug, um eine robuste Immunität gegen Covid-19 (und MERS, SARS - falls das nicht ausgestorben ist -, und die mindestens 4 Arten saisonaler Coronaviren, die den Großteil aller "grippalen Infekte" verursachen) zu induzieren.“



        Bzw „humanpathogene Coronaviren als gesamte Familie - und die infizieren jedes Jahr rund 10% der Weltbevölkerung, ohne dass jemand dagegen länger als ein paar Monate immun würde.“

        Der Umstand 2 könnte erklären, warum etwa 80% der mit SARS-CoV-2 infizierten Bevölkerung, die andere Coronaviren wegstecken, kein COVID (D wie Disease, Krankheit) entwickeln, also nicht oder nur mit leichten Symptomen erkranken.



        Das Fehlen von „robuste Immunität“ könnte aber auch zukünftig bedeuten, dass SARS-CoV-2, falls es ein Teil der Natur sein wird, die Menschheit für hundert Jahre heimsucht, es gibt dann nur kein COVID (die schwere Erkrankung) mehr.