Studie zu Verbraucher-Insolvenzen: Sechs Jahre verordnete Armut

Es gibt immer mehr insolvente Verbraucher. Wer einen schuldenfreien Neustart wagen will, muss sechs Jahre an der Armutsgrenze leben. Das ist übertrieben hart, belegt eine Studie.

Betteln müssen Privatinsolvenzler zwar meist nicht, an der Armutsgrenze leben aber viele von ihnen. Bild: dpa

Bankrotte Privatschuldner, die in Deutschland einen schuldenfreien Neustart wagen wollen, müssen sechs Jahre lang an der Pfändungsgrenze leben. So sieht es seit 1999 das gesetzlich geregelte Verfahren der Privatinsolvenz vor, das bis heute etwa 600.000 Verbraucher in Anspruch genommen haben. Doch die lange Bewährungsphase ist für die meisten insolventen Verbraucher unnötig hart und verbessert nicht den Erfolg des Insolvenzverfahrens. Das haben Forscher von der TU Chemnitz in einer Langzeitstudie nun erstmals empirisch ermittelt. "Die meisten privaten Insolvenzverfahren würden auch mit einer verkürzten Bewährungsphase erfolgreich sein", resümiert Forschungsleiter Götz Lechner.

Der Soziologe und sein Team haben erforscht, wie Schuldner die gesetzlich geforderte "Wohlverhaltensperiode" erleben. Dazu haben die Forscher 1.622 Schuldner befragt, die sich in der Privatinsolvenz befinden. 754 Teilnehmer wurden drei Jahre später erneut befragt. Untersucht wurden unter anderem das soziale Umfeld, die Jobsituation, Gesundheit und die allgemeine Lebenszufriedenheit.

Aus den Ergebnissen folgern die Wissenschaftler, dass für gerade einmal 8 Prozent der insolventen Schuldner die sechsjährige Wohlverhaltensperiode "unabdingbar" sei. Diesem harten Kern bescheinigen die Forscher einen "andauernden Beratungsbedarf". Bei ihnen sei die Gefahr groß, "durch die Drehtür des Insolvenzverfahrens in abermalige Überschuldungsprobleme zu geraten", heißt es in der Studie. Nur: "Das Gesetz sieht bislang jedoch überhaupt keine begleitende Beratung in dieser Phase vor", sagte Lechner der taz.

Der weitaus größte Anteil insolventer Schuldner könne in deutlich kürzerer Zeit in die Gesellschaft zurückkehren. 48 Prozent der Befragten identifiziert die Studie als "Opfer moderner biografischer Risiken". Dazu gehören Arbeitslosigkeit, eine gescheiterte Selbständigkeit oder das Zerbrechen einer Ehe als häufigste Ursachen. Nach vier Jahren Wohlverhalten seien diese wieder in der Gesellschaft angekommen. "Diese Leute brauchen lediglich einen neuen Start und keine Jahre währende Zeit der Bewährung", so Lechner.

"Insolvente mit Orientierungsproblemen" machen mit 42 Prozent die zweitgrößte Gruppe aus. Eine gute Beratung vorausgesetzt, könnte ihre Rückkehr in die Gesellschaft ebenfalls deutlich schneller als in sechs Jahren gelingen, heißt es.

Die finanzielle Lage von Verbrauchern und Unternehmen entwickelt sich in diesem Jahr brisant. Die Zahl der Insolvenzen wird 2010 neue Rekordwerte erreichen. Im ersten Halbjahr nahm die Zahl zahlungsunfähiger Schuldner im Vergleich zum Vorjahr um 13,3 Prozent auf 54.780 Fälle zu, teilte die Wirtschaftsauskunftei Creditreform am Dienstag mit. Die Auskunftei Bürgel erwartet für 2010 einen neuen Rekord von 140.000 Privatinsolvenzen. Die Zahl von Pleitefirmen stieg laut Creditreform im ersten Halbjahr um 7,1 Prozent auf 16.210.

Die Bundesregierung signalisiert bereits Konsequenzen. Wann die geplante Änderung der Insolvenzrechtsreform jedoch in Kraft tritt, konnte ein Sprecher des Bundesjustizministeriums am Dienstag nicht sagen. "Die Verkürzung der Wohlverhaltensperiode kommt aber definitiv."

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