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Studie zu Spotify-GeschäftspraktikenTauschbörse reloaded

Dafür gründeten sie sogar Plattenlabel: Forscher untersuchten die Geschäftspraktiken des unnahbaren Musikstreamingdienstes.

Ein „SpotiBot“? Nee, wohl eher ein SpotiKid Foto: imago images/Westend61

Spotify ist unter Druck. Die schwedische Datenschutzbehörde hat den Musikstreamingdienst kürzlich aufgefordert, offenzulegen, welche Daten von seinen Nutzern er sammelt und wie er diese auswertet. Das klingt nach einem Verwaltungsvorgang. Für den Stockholmer Konzern, dessen Kerngeschäft das Sammeln und Auswerten gigantischer Datenmengen seiner Nutzer ist, könnte es um seine Existenz gehen. Das Geschäftsmodell von Spotify ist in Gefahr.

Lange Zeit herrschte Unklarheit über das tatsächliche Geschäftsmodell von Spotify. Die Nutzerzahlen waren zwar gigantisch – aktuell 207 Millionen –, doch viele nutzten vor allem das werbefinanzierte Angebot und bezahlten gar nichts. Ein schwedisches Forschungsprojekt brachte seit 2013 jedoch mit staatlicher Förderung einige der unangenehmen Details ans Licht. Unter dem Titel „Streaming Heritage“ stellten die fünf Forscherinnen und Forscher, Maria Eriksson, Rasmus Fleischer, Anna Johansson, Pelle Snickars und Patrick Vonderau, schlichte Fragen, die bis dahin aufgrund harter Geheimhaltungsklauseln unbeantwortbar schienen: Was macht Spotify eigentlich genau? Welche Daten werden gesammelt? Was geschieht mit den Nutzerdaten? Werden die Audiofiles zentral nachbearbeitet? Woher stammen die Audiofiles?

Diese letzte Frage brachte den Forscherinnen auch eine erste Unterlassungsklage ein: Hatten sie doch herausgefunden, dass die frühesten Audiofiles auf Spotify tatsächlich identisch mit Files waren, die auch im illegalen Filesharingservice The Pirate Bay getauscht wurden, ebenfalls einst in Schweden gegründet. War der Streamingriese Spotify, der alle Major und Independent Labels bis zum Ersticken umarmt hatte, vielleicht doch nicht mehr als eine weiterentwickelte Tauschbörse? Pirate Bay 2.0? Die Forscher bekamen vor Gericht recht und Spotify muss seither akzeptieren, dass diese belegbare Tatsache in der Welt ist und hier, in einem Zeitschriftenartikel, auch so benannt werden darf.

Künstliche Hörer

Das Buch über Spotify

Maria Eriksson, Rasmus Fleischer, Anna Johansson, Pelle Snickars, Patrick Vonderau: „Spotify Teardown: Inside the Black Box of Streaming Music“. MIT Press, Cambridge 2019, 286 Seiten, ca. 16 Euro

Ungewöhnlich abgeschirmte Unternehmen verlangen nach ungewöhnlichen Forschungsmethoden. Die Forscher um Patrick Vonderau haben daher im Laufe ihre Forschung testweise Plattenlabel gegründet, Musik auf Spotify hochgeladen, dort vermarktet und verkauft. Sie nutzten künstliche Hörer, „SpotiBots“, die ohne jede menschliche Aufmerksamkeit vorgaben, sich Musik anzuhören. Damit brachten die Forscher den gehörten Musikern Geld ein und wiesen auf diese große Softwarelücke hin.

Ein bulgarischer Nutzer bewirtschaftete sogar in großem Stil diesen Fehler im System. Er ließ 1.200 Hörerbots 467 seiner kurzen Tracks anhören und erhielt von Spotify etwas über eine Million US-Dollar. Die Forscher entdeckten auch einen unerwarteten Effekt ihrer Bemühungen: Denn ihre Testmusik, die aufgrund mangelnder künstlerischer Qualität und Glaubwürdigkeit von Spotify wieder entfernt worden war, fand sich schließlich auf ganz anderen Webseiten wieder und wurde dort weiterverbreitet und beworben. Der Titel ihrer Musik: „The Silence of Scholarly Life“ von einem erfundenen Künstler namens The Ethnologist.

Da Spotify kein Handbuch für Künstler oder Labels anbietet, das erklären würde, wie Musik dort präsentiert, hochgeladen und beworben werden kann, wurden die Forscherinnen tatsächlich zu Ethnografinnen auf dem fremden Kontinent dieses Streamingdienstes. Sie machten mit, probierten aus und lebten dort für einige Zeit. In ihrem Forschungskrimi, der jetzt unter dem Titel „Spotify Teardown“ erschienen ist, erzählen sie ihre Erkenntnisse, die Hürden ihrer Forschungen, etliche überraschende Erkenntnisse und befremdliche Begegnungen mit diesem großen Konzern, der im Marketing sich nahbar gibt, doch in der Kommunikation so hartleibig und unerbittlich wie das ZK einer Staatspartei erscheint.

Einer der Köpfe des mutigen Projekts, Patrick Vonderau, ist seit Kurzem Professor in Halle und erkundet dort, wie sich Spotify-HörerInnen, Likes und Klicks in großem Stil erwerben lassen: Ein sehr einträglicher und für viele unsichtbarer Wirtschaftszweig der vorgespiegelten öffentlichen Aufmerksamkeit.

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1 Kommentar

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  • Gut das ich kein Spotify habe aber jetzt wo ich den Artikel gelesen habe macht das auch Sinn! Gut für den Nutzer, schlecht für den Künstler.