Studie zu Muslim:innen in Deutschland: Immer vielfältiger
Die Zahl der Muslim:innen in Deutschland ist seit 2015 um fast eine Million gestiegen. Ihr religiöses Leben wird flexibler und diverser.
So sind Menschen mit türkischem Hintergrund mittlerweile nicht mehr die Mehrheit der Muslim:innen in Deutschland, wohl vor allem wegen der Einreise von Flüchtenden aus dem Nahen Osten im Jahr 2015. Die machen mittlerweile fast 20 Prozent der Muslim:innen hierzulande aus, Menschen mit nordafrikanischem Hintergrund kommen auf etwa 8 Prozent. Aus der Studie geht außerdem hervor, dass sich ein Großteil der Muslim:innen in Deutschland selbst als „stark gläubig“ oder „eher gläubig“ einschätzt.
Der Religionssoziologe Rauf Ceylan von der Uni Osnabrück sagt allerdings: „Zwischen religiöser Praxis und der subjektiven Selbsteinschätzung klafft oft eine große Lücke.“ Tatsächlich sei in der muslimischen Bevölkerung eine Tendenz zur Säkularisierung und Flexibilisierung beim Glauben erkennbar – genauso wie im Rest der deutschen Gesellschaft. „Es gibt hedonistisch orientierte Jugendliche, die dennoch freitags in die Moschee gehen.“
Dass sich viele der Muslim:innen dennoch als stark religiös einschätzen, ist für Ceylan eine Reaktion auf den Islamdiskurs in Deutschland, der ausgrenzend wirke. „Der Glaube wird deshalb zum Identitätsanker“, so Ceylan.
Kaum ein Satz ohne das Wort „Integration“
Wie sehr sich beim Sprechen über Muslim:innen in Deutschland auf Probleme fokussiert wird, zeigte sich auf der Pressekonferenz, auf der die Studienergebnisse am Mittwoch präsentiert wurden.
Vorgestellt wurden die zentralen Erkenntnisse nicht nur von Studienleiterin Anja Stichs, sondern auch von Bamf-Chef Hans-Eckhard Sommer und Staatssekretär Markus Kerber aus dem Innenministerium. Die beiden machten klar, dass Amt und Ministerium die muslimischen Menschen in Deutschland vor allem als Gruppe wahrnehmen, die sich an die deutsche Gesellschaft anzupassen habe. Fast keiner ihrer Sätze kam am Mittwoch ohne das Wort „Integration“ aus.
Viel ging es um Deutschkenntnisse (79 Prozent der Befragten attestiert sich selbst gute oder sehr gute Kenntnisse), Kopftuch (trägt weniger als jede dritte Muslima) und Bildung (bei vielen Muslim:innen „lässt sich Nachholbedarf erkennen“). Lobend wurde erwähnt, dass sich viele Muslim:innen Deutschland „stark verbunden“ fühlen. Und besonders freudig verkündete man die Erkenntnis, Religion sei gar keine so große Integrationshürde wie gedacht.
Auf die Frage, wie die Coronakrise die Einstellungen der Muslim:innen in Deutschland verändert hat, wusste am Mittwoch dagegen niemand eine Antwort. Die Befragungen für die Studie waren im März 2020 abgeschlossen worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten