Studie zu Heranwachsenden in Deutschland: Beim Kindeswohl nur Mittelfeld
Laut Unicef sind deutsche Kinder nur mäßig zufrieden. Sie finden sich zu dick oder zu dünn, haben Probleme, Freund*innen zu finden oder leiden unter Armut.
„75 Prozent ist einerseits ein guter Wert, man kann es aber auch umdrehen und sagen: Jedes vierte Kind ist nicht sehr zufrieden“, sagte der Sprecher von Unicef Deutschland in Köln, Rudi Tarneden. „Und das ist im internationalen Vergleich eben gar nicht so gut.“ Dabei spiele sicherlich mit, dass die Eltern vieler deutscher Kinder stärker sorge- und angstgetrieben seien als in anderen Ländern. „Wenn die Erwachsenen wenig Zuversicht vermitteln, spiegelt sich das in den Einstellungen der Kinder.“
Auffällig ist, dass in Deutschland lediglich 72 Prozent der Mädchen und Jungen sagen, es falle ihnen leicht, Freundschaft zu schließen. In Rumänien sagen das 83 Prozent. Deutschland liegt hier im unteren Bereich. Das bedeute, dass die Förderung sozialer Kompetenzen in der Schule größeres Gewicht bekommen müsse, sagte Tarneden. Neben Estland und Polen gibt es in Deutschland auch die meisten Heranwachsenden, die sich zu dick oder zu dünn finden. Trotz einer langen Phase der Hochkonjunktur sei auch die Kinderarmut in Deutschland relativ konstant geblieben, sagte Tarneden.
Für die Studie, erstellt vom Unicef-Forschungszentrum Innocenti in Florenz, wurde das Wohlbefinden von Kindern in 41 Ländern der OECD und der Europäischen Union verglichen. In der Gesamtbewertung am besten wurde in der Studie das Wohlbefinden von Kindern in den Niederlanden, Dänemark, Norwegen, der Schweiz und Finnland eingestuft. Deutschland landete mit dem 14. Platz im oberen Mittelfeld. Am schlechtesten schnitten Chile, Bulgarien und die Vereinigten Staaten ab.
Große Probleme macht der Bericht bei der körperlichen Gesundheit und den intellektuellen Kompetenzen von Kindern aus. Im Schnitt leide rund ein Drittel der Mädchen und Jungen in den untersuchten Ländern entweder unter Fettleibigkeit oder Übergewicht, hieß es. Etwa 40 Prozent aller Kinder in den EU- und OECD-Ländern verfügten zudem mit 15 Jahren nicht über grundlegende Fähigkeiten im Lesen und Rechnen. Kinder in Bulgarien, Rumänien und Chile schneiden den Angaben zufolge dabei im Vergleich am schlechtesten ab, am besten dagegen die Mädchen und Jungen in Estland, Irland und Finnland.
Gravierende Gefahren für das Kindeswohl sieht Unicef außerdem durch die Corona-Pandemie. Ohne politisches Eingreifen der Regierungen sei mit steigenden Armutsraten, einer Verschlechterung der Gesundheit sowie einer wachsenden Kluft bei der Bildung von Kindern zu rechnen, warnte Olsson: „Die Unterstützung von Kindern und ihren Familien während der Covid-19-Pandemie ist erschreckend unzureichend.“ Bereits vor der Corona-Krise habe die durchschnittliche relative Armutsrate bei Kindern in EU- und OECD-Ländern bei 20 Prozent gelegen. Angesichts des erwarteten Wirtschaftseinbruchs werde die Kinderarmut weiter steigen, wenn es keine Gegenmaßnahmen gebe.
„Wohlstand bedeutet nicht automatisch, dass alle Kinder sich gut entwickeln können“, sagte Tarneden. „Was wir in den westliche Industriegesellschaften haben, ist eine Vielfalt von kindlichen Lebenslagen. Die perfekte Familie aus dem Werbefernsehen ist eine Illusion. Viel zu viele Kinder werden abgehängt, auch bei uns.“
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