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Studentensprecherin über Koalitionspläne„Studierende gehen in großer Zahl leer aus“

Union und SPD wollen das Bafög bis 2028 auf Grundsicherungsniveau heben. Zu spät, findet Emmi Kraft vom Studierendenverband fzs.

Was viele junge Leute umtreibt: bezahlbares Wohnen Foto: Bode/imago
Ralf Pauli
Interview von Ralf Pauli

taz: Frau Kraft, Sie haben den Koalitionsvertrag von Union und SPD aus Sicht der Studierenden durchforstet. Wie sehr geht die neue Bundesregierung auf Ihre Lebensrealität ein?

Emmi Kraft: Wir Studierende sind ja in der Regel junge Menschen. Und da hat der Koalitionsvertrag ehrlich gesagt ziemlich wenig zu bieten. Mein Eindruck ist, dass junge Menschen für Union und SPD zweitrangig sind. Das halte ich für ein großes Problem. Junge Menschen sind schließlich die Zukunft des Landes.

taz: In einem aktuellen Positionspapier haben Sie sich neben Hochschulthemen auch kritisch zu Wohn-, Verkehrs- oder Steuerpolitik von CDU, CSU und SPD geäußert. Haben Sie auch Vorhaben entdeckt, die Sie als progressiv bezeichnen würden?

Kraft: Progressiv vielleicht nicht unbedingt, es gibt aber ein paar begrüßenswerte Punkte. Gut finden wir zum Beispiel, dass das Programm „Junges Wohnen“ verlängert und die Mittel verdoppelt werden sollen. Die Bedingungen an Studierendenwohnheimen sind teils menschenunwürdig. Wir wissen von Rattenplagen, Schimmel, undichten Fenstern. Es ist wichtig, dass hier investiert wird. Und wir brauchen viel mehr Wohnraum für Studierende.

taz: Bis es so weit ist, versprechen Union und SPD eine „WG-Garantie“ für Auszubildende und Studierende. Dafür will der Staat künftig privaten Wohnraum für diese Gruppen freihalten und bezahlen. Sie halten das für das falsche Rezept. Wieso?

Kraft: Zu diesem Punkt erreichen uns gerade viele Fragen von Studierenden. Es ist tatsächlich nicht ersichtlich, was das Ganze soll. Die Idee klingt ja ganz süß, aber langfristig bringt das gar nichts. Problematisch finde ich vor allem, dass das Geld direkt an die Ver­mie­te­r:in­nen gehen soll, die das Geld – mal pauschal gesprochen – nicht so dringend nötig haben. Wir befürchten hier eine Umverteilung von unten nach oben. Dazu kommt: Wenn jetzt auch noch der Staat für überteuerte Mieten aufkommt, müssen die Ei­gen­tü­me­r:in­nen ja nicht mal mehr moralische Bedenken haben, dass sie den armen Studierenden das Geld aus der Tasche ziehen.

taz: Beim Bafög winkt dafür deutlich mehr Geld. Union und SPD versprechen eine Erhöhung der Bedarfssätze auf Grundsicherungsniveau, inklusive höherer Wohnpauschale. Damit würde der Höchstsatz von aktuell 992 Euro auf voraussichtlich über 1.100 Euro steigen und künftig regelmäßig angepasst werden. Ist das nicht ein Erfolg?

Bild: fzs e.V. f
Im Interview: Emmi Kraft

Emmi Kraft, 23, ist seit September 2024 Vorstandsmitglied im Studierendendachverband fzs. Zuvor war sie zwei Jahre lang im Bundesvorstand von Campusgrün. Kraft studiert Jura an der Uni Köln.

Kraft: Auf jeden Fall. Mit der Erhöhung auf Grundsicherungsniveau erreicht das Bafög erstmals das Existenzminimum. Das ist überfällig, vorher hat die Politik Studierenden ja kein menschenwürdiges Existenzminimum zugestanden. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat das in seinem Urteil kürzlich leider nicht beanstandet. Insofern sind wir über diese Erhöhung glücklich. Kritisch sehen wir aber, dass dies erst zum Wintersemester 2028/29 kommen soll. Die Leute, die heute studieren, werden in großer Zahl leer ausgehen. Das zeigt, an welcher Stelle auf der Prioritätenliste Studierende stehen.

taz: Bis 2028 dürfte auch die geplante Mietkostenpauschale von 440 Euro knapp werden. Laut der regelmäßigen Erhebung des Moses Mendelssohn Instituts werden schon in diesem Sommersemester im Schnitt 493 Euro für ein WG-Zimmer fällig – in Berlin, Köln oder Hamburg sind es bereits mehr als 600 Euro.

Kraft: Und in München 800 Euro. Fast doppelt so viel, wie Union und SPD bereitstellen wollen. Das zeigt, dass die Wohnkostenpauschale an die örtlichen Mietpreise angepasst werden muss. Das haben wir schon länger gefordert. Eigentlich gab es vor der Bundestagswahl auch Stimmen in Union und SPD, die diese Idee unterstützt haben. Es macht ja wenig Sinn, für Studierende in Greifswald und München den gleichen Wohnzuschuss zu zahlen. Wir hätten es auch sehr begrüßt, wenn die Wohnkostenpauschale automatisch an steigende Mieten angepasst würde – im Koalitionsvertrag ist aber nur von einer regelmäßigen Überprüfung die Rede. Die letzten Jahre zeigen, dass das leider nicht so gut geklappt hat.

taz: Nicht so gut geklappt ist auch ein gutes Stichwort für bessere Arbeitsbedingungen an Hochschulen. Die Ampel ist mit ihrer Reform kläglich gescheitert. Nun versprechen CDU, CSU und SPD vage, die Situation für Forschende, Lehrende und Studierende „nachhaltig“ verbessern zu wollen. Was ist nötig, damit es dieses Mal klappt?

Kraft: Zentral ist sicher eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Was die Regierung hier plant, ist aber, wie Sie gesagt haben, ziemlich unkonkret. Fest steht eigentlich nur, dass Mindestvertragslaufzeiten vor und nach der Promotion eingeführt werden sollen. Das kann aber auch alles heißen. Wir haben deshalb die Sorge, dass es wieder so laufen wird wie unter der Ampel. Die Koalitionäre zimmern schnell etwas zusammen, wollen noch mal nachbessern und können sich aber dann nicht mehr einigen. Wichtig wäre aus unserer Sicht auch, dass mehr unbefristete Stellen geschaffen werden.

taz: Auch hier halten sich Union und SPD bedeckt. Laut Koalitionsvertrag wollen sie eine „Mittelbau-Strategie“ auflegen und Anreize für Departmentstrukturen schaffen, also mehr Karrierewege neben der Professur ermöglichen.

Studis im Koa-Vertag

Bafög Union und SPD versprechen eine „große Novelle“: Zum Wintersemester 2026/27 soll die Wohnkostenpauschale von aktuell 380 auf 440 Euro pro Monat erhöht werden. Die Bafögsätze sollen zum Wintersemester 2028/29 auf dem Niveau der Grundsicherung liegen. Aktuell liegt diese bei 563 Euro und damit deutlich über dem Bafögsatz (475 Euro).

Studentisches Wohnen Das 2023 von der Ampel eingeführte Bundesprogramm „Junges Wohnen“ wollen Union und SPD fortführen und mit 1 Milliarde Euro pro Jahr (statt bisher 500 Millionen Euro) ausstatten. Über das Programm werden vor allem Wohnheime für Studierende und Auszubildende gebaut. CDU, CSU und SPD sichern Azubis und Studierenden zudem eine „WG-Garantie“ zu. Dafür sollen künftig auch sie vom sogenannten Belegungsankauf profitieren, bei dem der Staat Wohnungen von privaten Vermietern oder Wohnungsbaugesellschaften vergünstigt zur Verfügung stellt. (taz)

Kraft: Prinzipiell halte ich Anreize für einen guten Weg. Die Autonomie der Hochschulen ist schließlich ein wichtiges Gut und sollte nicht zu stark begrenzt werden. Gleichzeitig sollten die Anreize für Departmentstrukturen dazu führen, dass Pro­fes­so­r:in­nen nicht mehr so viel Macht über „ihre“ Lehrstühle haben wie aktuell, was oft ja auch zu Machtmissbrauch führt. Uns wäre wichtig, dass die Koalition hier genau draufschaut und mithilft, die krasse Machthierarchie an Hochschulen abzubauen.

taz: Für viele kommt es wegen der prekären Arbeitsbedingungen nicht mehr in Frage, an der Uni zu bleiben. Wie attraktiv sind Unis heute als Arbeitgeberinnen?

Kraft: Ich glaube nicht, dass wir irgendwann keine Wis­sen­schaft­le­r:in­nen mehr haben werden. Es ist ja trotz allem ein spannender Beruf und eine coole Tätigkeit. Es ist eher so, dass man sich den Beruf leisten können muss. Also dass vielleicht zur Not die Familie einspringen kann, wenn ein befristeter Vertrag ausläuft und ich nicht sofort einen neuen bekomme. Und das bedeutet auch klar eine soziale Auslese und damit weniger Diversität in der Forschung. Ich glaube, dass sich das auch sehr darauf auswirkt, zu welchen Themen geforscht wird. Das finde ich höchstproblematisch.

taz: Das Bildungs- und Forschungsministerium erhält die Union. Die letzte CDU-Bildungsministerin Anja Karliczek hat sich nicht wirklich für Studierende eingesetzt. Glauben Sie, dass es dieses Mal besser wird?

Kraft: Super optimistisch sind wir natürlich nicht. Wie gesagt, meine Generation findet im Koalitionsvertrag nicht sonderlich viel Beachtung. Wer auch immer das Ministerium übernimmt: Wir sind hier und werden sie oder ihn daran erinnern, dass Studieren ein Recht ist. Und dass man in Zeiten, in denen die AfD und andere rechte Organisationen immer mehr Zulauf gewinnen, die sozialen Probleme von jungen Menschen nicht vernachlässigen darf.

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1 Kommentar

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  • Meine Meinung - Studierende müssen nicht mehr in Berlin oder Hamburg wohnen um studieren zu können.



    Wir leben im 21. Jahrhundert - es gibt Internet...



    Onlineveranstaltungen haben während Corona bewiesen das sie problemlos abzuhalten sind.



    Außerdem: die gefragtesten Bezirke unter Studenten in Berlin sind immer noch Neukölln, Kreuzberg und Prenzlauer Berg. Auch der Wedding ist zusehends Mode.



    Die Unis stehen aber ganz woanders, teilweise 45 Minuten mit den Öffis entfernt...



    Junge Menschen wollen in großen Städten vor allem wegen des Lifestyles leben. Das eint sie mit all den anderen Menschen die dies aus genau dem gleichen Grund wollen, egal welcher Alters- oder Verdienstgruppe sie angehören.