piwik no script img

Studenten machen OperetteAmüsemang in Neukölln

Kein Ballett, aber ein Elefant schwingt seinen Rüssel im Dreivierteltakt. Die studentische Compagnie ConTutti spielt „Die Fledermaus“ in Berlin.

Gabriel von Eisenstein (Sotiris Charalampous) im Streit mit Rosalinde (Sonja Isabel Reuter) Foto: Emil Kroll

In der „Fledermaus“ gewesen. Haben uns köstlich amüsiert.

Operette! Johann Strauss! Walzerseligkeit, oh weh. Das schien mir doch lange eher das Genre meiner Großmutter, die, im späten 19. Jahrhundert geboren, die „Fledermaus“ liebte. Als sie jung war, galt das 1874 uraufgeführte Stück vermutlich noch als modern. Ich aber machte eher einen Bogen um den gesungenen Boulevard, betrügende Ehemänner, betrunkene Gefängnisdirektoren und sich rächende Ehefrauen.

Und jetzt? Dass ich es großartig fand im Heimathafen Neukölln in Berlin, in einer Inszenierung der „Fledermaus“ durch die studentische Compagnie ConTutti, ist das eine Alterserscheinung? Oder kommt da Lebenserfahrung ins Spiel, um das Libretto jetzt witzig zu finden? Wenn zum Beispiel Rosalinde, deren Mann angeblich ins Gefängnis soll, vor der Einsamkeit erschauert mit den Zeilen: „Zum Rindfleisch wie zur Suppe, zum Braten keinen Mann“?

Nein, es ist mehr. Es ist die freundliche Atmosphäre im Heimathafen, eng sitzt man in der Premiere zwischen jungen Leuten, vielen Freunden der Musiker, und den älteren Verwandten. Noch enger quetschen sich im Orchestergraben die von Gregor Böttcher geleiteten Musiker, die Pauke sitzt schon hinter der Tür. Das Bühnenbild sieht nach kein Geld aus, die jungen Sänger sind trotzdem durchweg professionell.

Die Liebe mit Messer und Gabel

Nicht selten spottet diese Operette über die Oper und ihre großen Gefühle

Vor allem aber hat es etwas mit der Jugend dieses freien Ensembles zu tun: Wenn das sich für diesen populären Stoff so begeistern kann, so viel Engagement hineinsteckt, um das gewiss nicht kleine Unternehmen mit Chor, Orchester und neun Solisten stemmen zu können, dann überträgt sich etwas von dieser wahnwitzigen Energie.

Die Fledermaus

"Die Fledermaus", weitere Aufführungen im Heimathafen Neukölln in Berlin,

8. + 9. Januar, 20 Uhr.

Nicht selten spottet diese Operette über die Oper und ihre Erzeugung der großen Gefühle. Hier ist jedes Gefühl eine Vortäuschung, jeder hat längst andere Pläne, Betrug schlingt sich um Betrug. Wenn er doch nur nicht singen würde, klagt Rosalinde, über Alfred, ihren heimlichen Liebhaber. Der tritt mit den langen blonden Locken ein wenig wie ein Neuköllner Biker auf, der eigentlich gerne Heldentenor wäre, aber auch über eine große Portion Selbstironie verfügt. Er serviert Rosalinde, das ist der Akt der Verführung, Spaghetti mit Tomatensoße auf seinem nackten Bauch, sie greift mit Messer und Gabel zu. Ein leicht kannibalisches Bild für die Gelüste des Fleisches.

Überhaupt hat der Regisseur Tilman aus dem Siepen nicht mit Bildern gespart, dem teils recht obszönen Libretto die Körperlichkeit auch zu lassen. Wenn freilich auch oft ins Groteske übersetzt. Den atemlosen Rhythmus der Musik, ihre Gassenhauer-Qualitäten, konnotiert er dann auch schon mal eindeutig als gut für den Sex geeignet. Gleich zur Ouvertüre schon befummelt sich Gabriel von Eisenstein unter einem vorgehaltenen Sofakissen, während seine Frau Rosalinde auf das aufsteigende Wasser in der Kaffeemaschine starrt. Eigentlich weiß man da schon ziemlich viel über diese Ehe.

Aber Tilman aus dem Siepen, noch Regiestudent an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin, verzichtet auch auf Inszenierungsmomente, die auf der Hand liegen. Er entschlackt das Brimborium der Operette. Dort etwa, wo es naheliegt, die große Festgesellschaft beim Prinzen Orlofsky im Walzer schwelgen zu lassen, schwingt hier ein Elefant, der knapp noch auf die kleine Bühne passt, seinen Rüssel im Walzertakt, der Rest der Festgesellschaft drischt mit Kochlöffeln auf Topfdeckel ein. Ein paar Nasen dreht diese Inszenierung schon dem Klischee von der Operette.

Nicht zuletzt haben Johann Strauß und die beiden Liberettisten Karl Haffner und Richard Genée die hier zelebrierte Lebenslust mit einem Teppich von Langeweile unterlegt. Es ist der Überdruss der Wohlhabenden, der sie unglücklich macht und zur Inszenierung der Ausschweifung greifen lässt. Prinz Orlofsky, Gastgeber der Party im zweiten Akt, singt darüber ganze Lieder: „Zwar langweil' ich mich stets dabei, was man auch treibt und spricht. Indes, was mir als Wirt steht frei, duld' ich bei Gästen nicht! Und seh’ ich, es ennuyiert sich jemand hier bei mir, so pack’ ich ihn ganz ungeniert, werf’ ihn hinaus zur Tür.“ Bei der Premiere jedenfalls musste niemand rausgeworfen werden, weil er sich gelangweilt hätte.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!