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Strukturschwäche im WestenNicht nur der Osten hat Probleme

Eine Studie zeigt: Aufholbedarf bei Wirtschaft und Infrastruktur gibt es auch im Westen. Etwa in NRW-Regionen oder Bremerhaven.

Triste Aussichten: Hier in Bremenhaven, das zu Verliererregionen zählt Foto: dpa

BERLIN taz | Strukturschwäche und Ostdeutschland – das gehört seit der Wende zusammen wie Pech und Schwefel. Zumindest in den Köpfen vieler Menschen. Aber entspricht dieser vermeintlich unumstößliche Zusammenhang der Realität?

„Es wäre zu einfach, von einem Ost-West-Gefälle zu sprechen“, erklärt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), am Donnerstag. Zusammen mit Wissenschaftlern vier deutscher Hochschulen hat das IW die Entwicklung deutscher Regionen in den Bereichen Wirtschaft, Demografie und Infrastruktur seit 2011 untersucht. Ihr Fazit: In 19 der 96 sogenannten Raumordnungsregionen gibt es akuten Handlungsbedarf. „Es sind die Regionen, in denen sich der Abstand zum Rest über die vergangenen Jahre vergrößert hat“, so Hüther. Elf von ihnen liegen in den neuen Bundesländern, vier in Nordrhein-Westfalen. Außerdem gehören Bremerhaven, das Saarland, Schleswig-Holstein und die Westpfalz dazu.

Hüther hält fest: „Das eigentlich Überraschende ist, dass der Westen wirtschaftlich hinten liegt.“ Schlusslichter sind laut der Studie die Regionen Duisburg/Essen, Emscher-Lippe und Bremerhaven. Erst auf Platz vier folgt mit der Altmark eine ostdeutsche Region, gemeinsam mit Dortmund. Dass es sich um städtisch geprägte Regionen handelt, macht deutlich, dass sowohl die These vom Ost-West- als auch die vom Stadt-Land-Gegensatz zu kurz greift.

Erhebliche Probleme stellen sich in Ostdeutschland aber mit Blick auf die Demografie, etwa in Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg oder in Südthüringen. „Für diese Regionen ist die Gefahr am größten, dass sie abgehängt werden“, warnt Hüther.

Probleme beim Netzausbau und Schulden

Bundesweiten Aufholbedarf sehen die Forscher im Bereich der Infrastruktur: in Ostdeutschland beim Netzausbau, in westdeutschen Kommunen auch beim Schuldenabbau.

Ein Patentrezept zum Gegensteuern sei wegen der Unterschiedlichkeit der Probleme schwierig. „Regionalisierung der Regionalpolitik bleibt richtig“, meint Hüther und betont die Verantwortung der Länder. Drei grundlegende Empfehlungen für die Politik aber leiten die Wissenschaftler ab: die Förderung von Bildungsangeboten, das Forcieren des Netzausbaus in Form von Schienen und Breitbandinternet sowie Schuldenerlasse, um den Investitionsstau in den Kommunen aufzulösen.

Regionen ausbluten lassen? Nein, sagen die Forscher

Auch die Förderung bürgerschaftlichen Engagements sei entscheidend. Regionen ausbluten zu lassen, wie es kürzlich eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle nahelegte, lehnen Hüther und seine Kollegen entschieden ab. „Mehr als die Hälfte aller Deutschen lebt dauerhaft in der Nähe ihres jeweiligen Geburtsorts. Regionen vollkommen aufzugeben betrifft diese Menschen direkt“, so Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität Dresden.

Doch die Zeit drängt: Durch die Digitalisierung könnten sich die Probleme noch verschärfen, warnen die Wissenschaftler. Die Politik müsse handeln.

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7 Kommentare

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  • Endlich fällt zusammen, was zusammengefallen gehört - die wahre Einheit ist da!

    Und in NRW gibt es ja auch noch ein paar solvente Kommunen. Ein paar wenige ...

    www.mhkbg.nrw/site...tatus_11062019.pdf

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Wer die jährlichen Wirtschafts- und Haushaltspläne der Städte und Kommunen liest und sich in die Tiefen des Haushaltsplans des Bundes begibt erkennt schnell zwei bzw. drei Riesenposten: Personalentgelte und Rücklagen für Pensionsverpflichtungen und der gesamte Sozialaufwand. Mit dem Rest lässt sich, zumindest auf kommunaler Ebene, kaum noch etwas bewegen. Zumal viele Kommunen mit klassischen politischen Fehlentscheidungen und fachlichem Unvermögen viel viel Geld zum Fenster hinaus werfen (Regionalflughäfen, verkehrsberuhigte und damit leere Innenstädte, Entwicklung von Industriegebieten, die keine werden, Gewerbesteuerhebesätze, etc.).

  • In Bremerhaven gibt es inzwischen viele erneuerte und sanierte und verschönerte Bereiche. Und einige sind teuer geworden.



    Wer definiert Strukturschwäche?



    Was machen die Einwohner selbst?

  • Regionen aufgeben und damit andere fördern? Wegen ein wenig Heimatliebe soll das ein Problem sein? Das ist kein Argument.



    Wer selbst Bremerhaven und Duisburg erlebt hat, der wird sofort der Studie zustimmen. Da ist Palermo geradezu eine Wohltat.

  • 9G
    94778 (Profil gelöscht)

    "Regionen ausbluten lassen? Nein, sagen die Forscher" zum Thema strukturschwache Westen. Alles gut und richtig.



    Meine Heimatstadt in NW Deutschland 20000 Eibwohner weisst im Zentrum schon mehr als 60% Leerstand auf, Der Stadtkern würde von I vestoren als Spekulationsobjekt aufgekauft.Kleine Geschäfte gehen seit 29 Jahren kaputt, keinen juckts, eine Klinik der Grund und Regelversorgung gibt schon seit 20 Jahren nicht nehr...



    Jaaaa, die Forscher. Wen interessieren die denn die Forscher! Den neoliberalen BWL- er und den gemeinen Politstrategen doch wohl eher nicht.Oder?

    So sieht's aus.Deutschland wird in Zukunft aus 3- 5 Boomregionen bestehen, wo die Kohle generiert wird. Da wären zu nennen: Hamburg, Berlin, Teile der Rhein Main Schiene , Stuttgart und Grossrsum München. Der Rest?



    Der Rest geht dann noch gut als AfD "Ausschussware", auf die dann mit gutem Gewissen herab geblickt werden kann.

    Ok.Wenn wir das so wollen?