Stromnetze in Europa: Der Nachbarn Angst vorm Blackout
Tschechien fühlt sich von deutschem Windstrom überrannt. Das Netz stehe kurz vor dem Kollaps, heißt es dort. Jetzt will man sich schützen.
BERLIN/PRAG taz | Tschechien sieht sein Stromnetz durch die deutsche Energiewende bedroht. Diese Woche gab das tschechische Ministerium für Industrie und Handel dem staatlichen Netzbetreiber CEPS grünes Licht für den Bau zweier Riesentransformatoren in Nordböhmen – eine Art Stromschleuse, mit der sich die Energiezufuhr aus dem Nachbarland regulieren lässt.
Václav Bartuska, Beauftragter der Tschechischen Republik für Energiefragen, warnte zuvor: „Entweder es gibt einen Blackout in Tschechien oder einen Blackout ohne Tschechien.“
Die Tschechen sehen ihr Stromnetz bedroht, weil in windstarken Zeiten Strom über Polen, Tschechien und Österreich nach Bayern fließt, wenn die deutschen Stromtrassen zu stark belastet sind. Knapp zwei Dutzend Mal sei Tschechien so allein 2012 an einem Blackout vorbeigeschlittert, sagt der Netzbetreiber CEPS.
Das bestätigt Jakub Vít, energiepolitischer Berater beim tschechischen Industrieverband SPD. „Eine genaue Zahl wird Ihnen niemand sagen, weil es für die Netzbetreiber eine Frage der Ehre ist, den Kollaps der Netze zu verhindern.“ Ganz brisant sei die Lage am 15. November 2012 gewesen, als München im Dunkeln lag.
Rösler sagt danke
„Da hatten unsere Jungs ganz schön zu tun, um Ähnliches hier zu verhindern“, sagt Vít. Mit Windstrom hatte das aber nichts zu tun, der Grund war ein Kurzschluss in einer wichtigen Leitung. Trotzdem eskaliere die Situation weiter, klagt der halbstaatliche tschechische Netzbetreiber CEPS. „Der ungeplante Stromüberschuss, der durch unsere Netze fließt, steigt immer weiter an“, sagt CEPS-Sprecherin Tereza Soukupová der taz. „Die Situation ist unhaltbar geworden“, ergänzt sie.
Da halfen auch die Dankesworte für die nachbarschaftliche Bereitstellung der Stromnetze nicht, die Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) bei einem Besuch in Prag im Mai vortrug. Tschechien sah sich unter Zugzwang: Die Stromschleusen gibt es an der westlichen Grenzen Deutschlands bereits.
Zwar werden die böhmischen Phasenschieber frühestens 2016 stehen, aber das ist, meinen die Tschechen, noch lange nicht zu spät. Den deutschen Beteuerungen vom Stromautobahnbau glaubt hier niemand. Auch kritisiert man die deutsche Politik, dass sie sich dieses unbequemen Themas kaum annimmt. „Meiner Erfahrung nach meidet Kanzlerin Merkel die Diskussion über Stromtrassen wie der Teufel das Weihwasser“, sagt Vít.
Bei dem deutschen Netzbetreiber 50 Hertz, aus dessen Gebiet der hohe Anteil erneuerbaren Strom kommt, sieht man die Situation gelassener. Seit Anfang des Jahres operiere man dort mit einem „virtuellen Phasenschieber“ an der Grenze zu Polen, 2016 sollen echte stehen. Man simuliert momentan eine Stromschleuse und schaltet das Netz entsprechend – seitdem habe sich die Situation deutlich entspannt, heißt es.
Für die Überlastungen der Netze gebe es eine Reihe von Gründen, dazu zählten auch die Großhandelsaktivitäten. Wind und Sonne spielten zwar zeitweise eine „recht dominante Rolle“. „Es wäre aber verkürzt dargestellt, wenn man alle Probleme der deutschen regenerativen Einspeisung zuordnen würde“, sagte ein Sprecher. Er verweist darauf, dass nun auch weniger Netzkapazität für den Stromhandel zur Verfügung stünden.
Vielleicht ist auch damit der Furor der Tschechen zu erklären. Das Nachbarland hat nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes im Stromhandel mit Deutschland 2009 noch über 500 Millionen Euro Überschuss erwirtschaftet. 2012 waren es nur noch 300 Millionen.
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