Ströbeles letzte Bundestagswoche: Der loyale Traditionalist
Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele verlässt nach 21 Jahren den deutschen Bundestag. Die Beschreibung einer Lücke.
Als er 1985 in Bonn in den Bundestag kam, pfiff dort ein rauerer Wind als heute in der lauen Merkel-Ära. Ströbele, schon damals mit Jeans, Rad und Schal unterwegs, titulierte Kanzler Kohl als Lügner. CSU-Abgeordnete beschimpften ihn im Hohen Haus als „Terroristen“ und „Gangster“. Für seine Gegner bei den Konservativen und den Realo-Grünen ist er lange der Lieblingsfeind gewesen. Der ewige 68er. Der Fundi. Der Dogmatiker. Das Image hat er sich in den 70ern verdient, als er mit Hingabe die RAF verteidigte.
In Bonn verlangte der Neu-Abgeordnete 1985 auf einer Klausur von den grünen MdBs, das Parlament ernst zu nehmen. Er selbst hat sich stets daran gehalten: Während andere Karrieren planten, saß Ströbele, der Pflichtmensch, im leeren Rund des Bonner Wasserwerks und hörte sich Bundestagsdebatten an. Wenige nahmen den Parlamentarismus so ernst wie er, der doch noch immer die Fahne der parlamentarismuskritischen Bewegung der 60er Jahre hochhielt. Gerade die äußerste Skepsis setzte produktive Kräfte frei: die Dialektik des Dagegen. Dabei ist das Radikale bei ihm immer auch optische Täuschung gewesen.
Ströbele sammelte nach 1998 die pazifistischen Reste bei den Grünen gegen Fischers Kurs im Kosovo und in Afghanistan – aber ohne Rot-Grün zu stürzen. Als Politiker handelt er immer wie ein Anwalt, der weiß, wann die Zeit für schwungvolle Plädoyers ist, wann nüchterne Deals gefragt sind. Überflüssig zu sagen, dass im Rückblick Ströbeles Skepsis in Sachen Afghanistan handfeste Realpolitik war, Fischers Idee, per Beteiligung die USA zu zivilisieren, Traumtänzerei.
Treue macht ihn aus
Bei den Grünen haben ihn im Lauf der Jahre viele zum Teufel gewünscht – genauer zur PDS und Linkspartei. Das war ein Missverständnis. Ströbele hätte die Grünen nie wegen günstigerer Karriereaussichten anderswo verlassen. Denn im Kern macht ihn Treue aus. Das ist ein altmodisches Wort für etwas Altmodisches. Deshalb ist ihm 68 Fixstern geblieben: Right or wrong, my movement. Ströbele hat zu dem, was er selbst früher war, zu Idealen, Personen, eine Art unkündbares Näheverhältnis. Man hört bis heute von ihm kein böses Wort über Horst Mahler, einst bewunderter Anwaltskollege, heute Nazi. Nur Fassungslosigkeit.
Ströbele ist ein Traditionalist. Aber einer, der, vielleicht wegen seines ausgeprägten Individualismus, selbst keine Traditionslinie begründet hat. Es gibt niemand in den Grünen, der in seine Fußstapfen treten wird. Keinen, der Gesinnung und Pflichtethos, Bescheidenheit und Bewusstsein für mediale Effekte so verbinden kann.
Ist an ihm ein Minister oder Senator verloren gegangen? Ist er als Politiker unvollendet? Müßige Frage. Er ist einer, der die Macht kontrolliert, nicht repräsentiert. Er hatte Erfolge als Parlamentarier – die akribische Aufklärungsarbeit in fünf Untersuchungsausschüssen, die ein wenig Licht ins Dickicht der Geheimdienste und Republikskandale brachte.
Dem Bundestag hat Ströbele mit seinem Ernst zu nicht nur einem leuchtenden Moment verholfen – oder wenigstens Blamagen erspart. Am 24. März 1999, als Bundeswehr-Jets gen Serbien aufstiegen, wollte der Bundestag allen Ernstes über das Bundesausbildungsförderungsgesetz beraten. Ströbele, dem der erste Kriegseinsatz der Bundeswehr eine schlaflose Nacht beschert hatte, eilte zum Rednerpult und hielt gegen die Tagesordnung jene Brandrede, die sich seine grünen Kollegen nicht trauten. Nämlich – dass das Parlament jetzt sofort über diesen Krieg reden müsse. Mit Erfolg, in diesem Fall.
Das Parlament als offene Arena für den Kampf der Argumente, nicht als Abspielstätte für Vorgefertigtes – das war Ströbeles Traum 1985. Er ist es 2017 noch immer. Jetzt verlässt er, nur ein wenig altersmilde, den Bundestag. Vielleicht wird Ströbele die parlamentarische Bühne fehlen. Gewiss aber wird dem Parlament Ströbele fehlen.
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