Stress des Nikotinentzugs: Jetzt nur nicht spazieren gehen!
Manchmal will unsere Kolumnistin nicht vor die Tür – aus therapeutischen Gründen. Es könnte gefährlich sein, weil es da draußen doch Zigaretten gibt.

E s ist Samstagmorgen, ich sitze in der Küche am Tisch, Jacke und Schuhe angezogen, und weiß, dass ich jetzt auf keinen Fall rausgehen darf. In meiner Tasche sind merkwürdigerweise exakt 9,80 Euro: gerade genug für eine Schachtel Zigaretten plus das kleine Mentholpapierchen, das ich da immer reinstecke, um wie einst Helmut Schmidt trotz Rauchens fast hundert Jahre alt zu werden.
Seit Dienstag habe ich bereits nicht mehr geraucht, und der dritte Tag ist immer der schlimmste – gestern Abend habe ich geweint und genau gewusst, dass ich meine Arbeit ganz und gar schlecht und sowieso eigentlich schon immer alles falsch mache und stets gemacht habe, dass mein Kind nur aus diesem Grund kürzlich auf einen anderen Kontinent ausgewandert ist und mein Liebster mich eigentlich nur noch deshalb supportet, weil ihm ja quasi nichts anderes übrig bleibt. Heimlich wünscht er sich wahrscheinlich längst mein baldiges Ableben.
Was ich dagegen nicht mehr gewusst habe: Warum ich durch Nichtrauchen diese jämmerliche Existenz eigentlich noch verlängern will. Weiter zu rauchen erschien mir plötzlich irgendwie viel logischer, aber irgendwo – ich bin ja suchterfahren – war da doch noch dieser Gedanke: Das liegt bloß am dritten Tag! Halte durch. Morgen wird alles schon viel besser sein.
Heute ist morgen, und es ist alles noch viel schlimmer geworden.
Das Ziehen in meiner Lunge
Ich bin krank, natürlich bin ich krank, ich werde immer krank, wenn ich versuche, mit dem Rauchen aufzuhören: Statt ohne das tödliche Gift einfach dankbar drauflos zu genesen, kapituliert der Körper vor dem Stress des Nikotinentzugs. Sämtliche Atemwege sind mit einer Masse aus getrocknetem Uhu gemischt mit Betonstaub verstopft, Einatmen ist plötzlich so mühsam, dass sich das Ausatmen jedes Mal anfühlt wie nach einer körperlichen Anstrengung. Das Ziehen in meiner Lunge fühlt sich ganz genau wie ein echter Trennungsschmerz an, und meine Haut sieht plötzlich aus, als hätte ich viele Jahrzehnte lang viel zu viel geraucht.
Außerdem ist das gewohnte Piepsen in meinem Ohr auf das Mehrfache der üblichen Lautstärke angeschwollen. Wie durch Watte höre ich deshalb Reporter im Radio von Fufballfpielen reden, die einf fu fwei geendet haben, Bundefliga. Aber Fport intereffiert mich gerade nicht: Ich habe Hunger.
Mein Liebster ruft an. Wie geht ef dir, fragt er. Ich habe Hunger, sage ich. Dann iff waf, sagt er. Aber ich habe doch eben erst gegessen! Und davor auch! Ich esse jetzt eigentlich den ganzen langen Tag! Iff noch waf, sagt er. Effen ift beffer alf rauchen.
Nichtraucherinnenappetit wie bei einer Schwangeren
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Also gehe ich jetzt doch raus, gehe ohne auch nur einen einzigen Seitenblick am Zigaretten-Späti vorbei direkt zur Bäckerin. Mein Nichtraucherinnenappetit gleicht dem einer Schwangeren: Ich weiß ganz genau, was ich essen will, und meist ist das etwas, was ich sonst niemals esse. Und: Ich will viel davon. In der Bäckerei um die Ecke bestelle ich vier Berliner Pfannkuchen.
Sechs Euro, sagt die Verkäuferin, ich kann plötzlich wieder klar und rauschfrei hören und blicke deshalb überrascht auf. Sie missdeutet das und glaubt, sich entschuldigen zu müssen: „Ja, es ist leider alles viel teurer geworden!“, sagt sie. Und dreht dann ihren Kopf schräg nach unten zur Seite, das Gesicht in nachdenkliche Falten gelegt, für einen kurzen Moment der Besinnung ganz still.
Dann strahlt sie mich plötzlich an: „Aber uns geht’s ja noch gut!“ Mein Gott, ja, denke ich, ohne dabei wirklich an Gott zu denken. Oh mein Gott, ja. Es geht mir gut.
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