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Streitschlichter im JobcenterDer Problemlöser

Mitarbeiter in Jobcentern sind gefrustet, Arbeitslose auch, Klagen stapeln sich. Gut, wenn es dann Menschen wie Uwe Hilgendag gibt.

„Ich möchte den Blick auf die Menschen verändern“: Uwe Hilgendag, Verwaltungsfachmann und Streitschlichter Bild: Lia Darjes

BERLIN taz | Es ist nicht leicht, immer freundlich zu sein, vor allem, wenn man in einem Jobcenter arbeitet. Die Menschen anzuhören, wenn sie kommen mit ihrer Not und ihren vielen Fragen. Wenn dann noch die Zeit fehlt und ein Streit dazukommt, kann es sein, dass es am Ende ein Sozialgericht braucht. Oder einen wie Uwe Hilgendag.

Schon äußerlich strahlt alles an ihm Heiterkeit aus; er ist von Kopf bis Fuß in Gelb gekleidet, senfgelber Anorak, gelb kariertes Hemd, grau-gelbe Jeans. „Ich begreife mich als Steinchen, das ins Wasser fällt und Kreise zieht“, sagt er, „in der Hoffnung, dass sich auf diese Weise ein anderes Verständnis für Kommunikation entwickelt.“ In kleinen, straffen Schritten läuft er über die Baerwaldbrücke, steuert ein Stück entlang des Kanals, in Richtung einer Gaststätte nahe des Ufers.

In einem Jobcenter, wie Uwe Hilgendag es sich vorstellt, fühlen sich die Arbeitslosen gut aufgehoben. Die Mitarbeiter kümmern sich um die Menschen, und zwar um alle, auch um die, die kaum Aussichten auf eine neue Stelle haben. Aber die Wirklichkeit sieht oft anders aus, und das ist der Grund, warum ihn das Jobcenter noch nicht losgelassen hat, obwohl er nun schon seit zwei Jahren in Rente ist. „Ich möchte den Blick auf die Menschen verändern. Ob das am Ende was wird …“ Er lässt den angefangenen Satz in der Luft hängen und setzt sich an einen Tisch im Garten des Lokals.

Hilgendag, 66 Jahre alt, arbeitet seit vergangenem August ehrenamtlich als Streitschlichter am Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg: Arbeitslose, die in Konflikt mit dem Amt geraten sind, können zu ihm kommen: Dann dröselt er komplizierte Berechnungen auf, entwirrt vertrackte Verfahren, versucht, eine Lösung zu vermitteln. Rund 550 Menschen haben sich bisher an ihn gewandt; etwa die Hälfte der Fragen ließ sich telefonisch beantworten. Bei den übrigen schaltete er sich als Schlichter ein. In zwei von fünf Fällen, sagt er, sind die Ratsuchenden im Recht.

„Die Zahlen stehen im Mittelpunkt“

Er bestellt sich eine Cola Zero, stützt den Arm auf die Lehne des Stuhls neben ihm und schaut ins Blattwerk der Bäume. Das Jobcenter ist weniger als zwei Kilometer weit weg. Sieben Jahre hat er dort als Teamleiter gearbeitet. Er ist Verwaltungsmensch durch und durch. Aber das bedeutet für ihn nicht, dass man Dinge, die einem falsch vorkommen, einfach hinnehmen muss. „Die Zahlen stehen im Mittelpunkt“, sagt er, „und nicht, ob ein Mensch optimal behandelt wird.“

Wie groß die Defizite im Umgang mit den Bürgern sind, lässt sich auch an der Zahl der Hartz-IV-Verfahren ablesen: 2005 reichten rund 5.000 Menschen in Berlin Klage gegen ihre Jobcenter ein. 2010 waren es mehr als 30.000. Seither ist die Zahl zwar etwas gesunken, 2013 auf knapp 27.000. Aber das ist noch immer eine gewaltige Menge.

Ende 2012 hat das Berliner Abgeordnetenhaus entschieden, eine Ombudsstelle einzurichten. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg setzte den Beschluss um. Der auf ein Jahr befristete Modellversuch soll zeigen, ob ein neutraler Streitschlichter helfen kann, die Flut der Klagen einzudämmen.

Sofern das Projekt als Erfolg gewertet wird, könnten künftig auch an anderen Berliner Jobcentern Ombudsstellen entstehen. Nur das, was der Rentner tut – Bescheide erklären, Ansprüche prüfen –, gehört ja eigentlich zu den Kernaufgaben der Jobcenter selbst. Wie sinnvoll ist das Angebot also aus Sicht der Behörde?

Bitte kein bürokratischer Mehraufwand

„Für uns ist wichtig, dass dadurch kein bürokratischer Mehraufwand entsteht“, sagt Stephan Felisiak, Geschäftsführer des Jobcenters. Hilgendag sei fachlich kompetent und intern anerkannt, deswegen helfe sein Einsatz auch der Behörde. Trotzdem hofft Felisiak, dass der Posten bald überflüssig wird. „Unser Ziel ist, dass der Bürger Vertrauen hat, und dass jeder Mitarbeiter in der Lage ist, Auskünfte zu geben.“

Hilgendag fing nach seiner Lehre beim Arbeitsamt in Wedding an. Anfang der neunziger Jahre wechselte er ins Sozialamt. Dann kamen die Hartz-IV-Reformen. Das Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg wurde aufgebaut, Uwe Hilgendag sollte dabei helfen. Anfangs, sagt er, sollte es tatsächlich darum gehen, Arbeitslose besser zu fördern.

Aber es dauerte nicht lange, bis stattdessen die Statistiken in den Vordergrund rückten, die Erfolgszahlen und Vermittlungsquoten. „Von dem Gedanken, dass es mehr Unterstützung geben sollte, ist geblieben, dass man sich um den kümmert, der schnell vermittelbar ist.“ Er ist nicht der einzige, der sagt, dass sich die hohen Vorgaben verheerend auf die Arbeit der Jobcenter auswirken. Vergangenen Sommer hat der Bundesrechnungshof in einem Prüfberich festgestellt, dass die Mitarbeiter Langzeitarbeitslose weitgehend allein lassen.

Arbeitslose sind keine „Kunden“

Hilgendag stört sich an den wirtschaftlichen Maßstäben, die in den Jobcentern Einzug gehalten haben. Bis heute weigert er sich, die Arbeitslosen als „Kunden“ zu bezeichnen. Ein Kunde ist ja jemand, der messbaren Gewinn bringen soll. Und das passt nicht zu den Aufgaben eines Jobcenters, wie er sie versteht.

Die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Berlin war dagegen, dass die Schlichterstelle geschaffen wird. „Eine Ombudsstelle darf gar nicht nötig sein“, sagt Sprecher Olaf Möller. „Wenn ich einen Bescheid bekomme von einer Behörde, dann muss der doch so sein, dass ich den verstehe.“ Aber auch die Arbeitsagentur weiß, dass es recht oft hapert.

Deswegen hat sie mit der Senatsverwaltung für Justiz eine Arbeitsgruppe gebildet. Ihr Ziel ist, zu bewirken, dass die Zahl der Klagen um 25 Pozent sinkt: Bescheide sollen verständlicher gestaltet, Qualität der Sachbearbeitung soll erhöht werden. „Unser Projekt soll Verbesserungen innerhalb das Systems erreichen. Eine zusätzliche Schnittstelle halten wir nicht für zielführend“, sagt Möller.

Auch auf Websites von Hartz-IV-Gegnern ist der Sinn der Schiedsstelle angezweifelt worden: Wer selbst im Jobcenter gearbeitet hat, könne nicht neutral sein, heißt es. Hilgendag versteht, dass es Vorbehalte gibt. Andererseits, sagt er, kann er die Leute gerade wegen seiner Erfahrung fundiert beraten. „Es ist doch gut, dass ich drinnen war, damit ich nachvollziehen kann, warum die Dinge so sind.“

Kein Hinweis auf Uwe Hilgendags Dienste

In seiner Beratung geht es meist um Rückforderungen, Umzüge, Weiterbildungen. Das Jobcenter wirbt nicht für ihn, nur ein Zettel mit seiner Nummer hängt an der Tür. Ihm ist das recht so. Er kommt der Nachfrage ohnehin gerade hinterher. Drei Tage pro Woche beschäftigt ihn das Ehrenamt. Im Jobcenter gibt es Leute, die seine Hilfe gern annehmen, anderen ist er eher lästig. Aber das ist für ihn nichts Neues. „Ich war schon als Mitarbeiter nervig. Ich war ein kleines gallisches Dorf in einem nicht immer freundlichen Umfeld.“

Wer ihm eine Weile zuhört, muss an Inge Hannemann denken, die ehemalige Mitarbeiterin des Jobcenters Hamburg-Altona, die wegen ihrer offenen Kritik an der Hartz-IV-Praxis suspendiert wurde. In den Medien wurde sie deswegen „Hartz-IV-Rebellin“ genannt. Hilgendag teilt viele ihrer Ansichten. Aber er, ein Rebell? „Nein“, sagt er. Oder doch? Er überlegt. „Ein sanfter Rebell“, meint er dann.

Hilgendag ist ein ruhiger Mann, der beim Sprechen Pausen macht, und dann Sätze baut wie verschachtelte Gerüste, vorsichtig kalibriert, rundum gesichert. Er will die Mängel benennen, aber niemanden brüskieren. Ein Balanceakt. „Ich tu das ja nicht, um die Leute herabzuwürdigen.“ Auch die Mitarbeiter stehen unter großem Druck, sagt er. Der Hass, der sich mitunter gegen sie richtet, bestürzt ihn. Neulich hat er in einem Online-Forum gelesen: „Man müsste sie totschlagen.“ Da hat er gedacht: „Das sind doch auch Menschen.“

Seine Sprechstunde bietet er jeden Dienstag im ersten Stock der Jobassistenz an. An einem lauen Frühlingsmorgen tritt er in sein Büro. Diesmal trägt er ein zitronengelbes Sakko. Am Tisch in der Mitte sitzt eine junge Frau mit Zopf und kariertem Kleid. Lena Günther* ist Studentin. Vor zwei Jahren hat sie ein Baby bekommen. Kurz danach verlor ihr Partner, ein Sozialwissenschaftler, seine Stelle. Da musste das Paar Hartz IV beantragen. Aber sie hätten nicht erwartet, dass es so schwierig sein würde. „Man fühlt sich hilflos“, sagt Lena Günther. „Wir haben immer versucht, alles pünktlich einzureichen. Und trotzdem klappte es nicht.“

Inkassobescheid vom Amt

Auf ihrem Schoß liegt eine Klarsichthülle mit Bescheiden und Briefen. Es hat oft Probleme gegeben, sagt sie, zum Beispiel wurde ein paar Monate lang ihr Elterngeld falsch mit ihrem Hartz-IV-Satz verrechnet. Dann schickte ihr das Jobcenter einen Inkassobescheid. Sie sollte Geld zurückzahlen, obwohl sie nicht zu viel, sondern zu wenig erhalten hatte. Das Paar erhob Widerspruch. Niemand reagierte. Also mussten sie hingehen, Schlange stehen, warten. Und jedes Mal empfing sie ein anderer Mitarbeiter. „Die blickten dann nicht in unserer Akte durch. Die Papiere waren wohl nicht übersichtlich abgelegt.“

Im Herbst wollten sie umziehen, ihre Wohnung war zu klein geworden. Sie fanden eine Günstige in Friedrichshain, doch das Jobcenter lehnte den Umzug ab, ohne Grund, sagt Günther. Also wandte sie sich sie an Hilgendag. Vier Tage später konnte sie den Mietvertrag unterschreiben. Inzwischen studiert sie wieder und erhält Bafög, ihr Freund hat Arbeit gefunden. Mit dem Jobcenter haben sie nichts mehr zu tun. „Zum Glück“, sagt sie noch und macht sich auf den Weg.

Auch Uwe Hilgendag bricht auf. Bis 31. Juli ist seine Ombudsstelle befristet. Er kann sich vorstellen, noch eine Weile weiterzumachen, aber irgendwann will auch er sich von seinem früheren Beruf lösen. Er läuft die Treppe herunter, vorbei am Eingang des Jobcenters. Drinnen warten 50, 60 Leute vor den Schaltern.

Vor der Tür steht ein junger Mann. Jedem, der herauskommt, drückt er einen Flyer in die Hand, Werbung für eine Anwaltskanzlei, die sich auf Hartz-IV-Verfahren spezialisiert hat. In Blockbuchstaben steht auf dem Papier: „Haben Sie den Fehler schon entdeckt?“ Hilgendag blickt betrübt zu ihm herüber, dann dreht er sich um und zieht davon, ein gelber Punkt auf dem grauen Asphalt, der langsam kleiner und kleiner wird.

* Name geändert

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5 Kommentare

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  • "„Für uns ist wichtig, dass dadurch kein bürokratischer Mehraufwand entsteht“, sagt Stephan Felisiak, Geschäftsführer des Jobcenters."

    LOL

    Das Geld brauchen die Herrschaften um mehr unnütze Maßnahmenträger zahlen zu können...

  • 7G
    7964 (Profil gelöscht)

    Wenn es zwei, drei, viele mehr mutige Menschen oder gar Rebellen gäbe, könnte den Menschen, die in Not gekommen sind, wirklich geholfen werden. Dahinter steckt ein gesellschaftliches Problem. Seit den 80ern haben wir in der BRD ohne Ende "Betriebswirtschaftler" gezüchtet, die natürlich jetzt nicht mehr menschliches Handeln, sondern Gewinnmaximierung sehen wollen. Mit Gewalt!

    Als Kinder haben sie Dagobert Duck gelesen, nein verschlungen, und jetzt wollen sie es einmal besser haben.

    Am Ende bereichern sie sich noch an Notsituationen anderer...

    Das eigentliche Problem sind nicht die Arbeitslosen, sondern dass es zu wenig Menschen wie Uwe Hilgendag oder Inge Hannemann mit Rückgrat gibt.

  • 7G
    738 (Profil gelöscht)

    Ein großes Problem ist sicherlich, dass man von den Mitarbeitern der Jobcenter erwartet, dass sie Univeralisten sind. Sie sollen alle Feinheiten des Sozialrechtes kennen, ein Netzwerk zu Arbeitgebern aufbauen, Controlling und Berechnung durchführen und nebenher auch noch Sozialarbeit leisten. Vielleich wäre es sinnvoll, wenn sie einzelen Mitarbeiter spezialisieren würden und nicht ein Rundum-Paket anbieten müssten. Allein sich im Sozialrecht up-to-date zu halten ist schwierig genung, zudem fehlen Fortbildungen. Das Resultat ist, das Sachbearbeiterstellen wegfallen, weil man statt dessen Juristen beschäftigen muss.

    • @738 (Profil gelöscht):

      Stimmt so nicht. Die Vermittler und Leistungsrechner scheitern eher an selbst geschaffenen rechtswidrigkeiten. Wenn die Kosten der Unterkunft willkürlich festgesetzt werden, was macht dann der Mitarbeiter? Wenn das Geld zum Fördern regelmäßig nur für ein Drittel der Hilfebedürftigen reicht, warum werden dann für alle anderen trotzdem dann eben inhaltsleere Eingliederungsvereinbarungen ausgeworfen? Wenn ein Maurer, der ein Haus aus Wasser Mörtel und Ziegelsteinen bauen soll, feststellt, dass der Mörtel alle ist, hört er auf. Das nennt man Arbeitsethos. Wenn ein Vermittler nichts mehr zum Fördern hat, baut er potemkinsche Dörfer und wird angehalten, zu sanktionieren, wenn der Arbeistlose die Sinnlosigkeit einer Maßnahme erkennt. Da liegen die Reserven: In der Zivilcoruage der Jobcentermitarbeiter.

      • @ebsw:

        Nicht die Zivilcourage der JC-Mitarbeiter ist das Problem , denn selbst wenn sie so etwas besitzen scheitert es am "Machtgehabe" der Vorgesetzten ... das wäre doch mal was wenn JC-Mitarbeiter OHNE ANGST ihre wirkliche Meinung gegenüber den Vorgesetzten kundtun dürften !! Das wäre nur dann NICHT Systemkonform ... die Regierung hat gar kein Interesse dem Bürger die Wahrheit zu sagen denn damit würden sie eingestehen das sie seit JAHREN die Unwahrheit gesagt haben . Also wird es so weitergehen bis dieses "Kartenhaus" zusammenbricht . Nur Politik ( oder eigentlich VOLK ) kann etwas ändern aber solange die Mehrzahl nicht an Gerechtigkeit sondern an Lüge glaubt wird nichts passieren ....