Streitgespräch dreier Wohnpolitiker: „Der Markt ist völlig aus dem Ruder“
Die Mietkrise gehört zu den brennendsten Themen der Zeit. Vor dem Wohngipfel im Kanzleramt debattieren drei Politiker von SPD, Linken und Grünen.
taz: Herr Daldrup, kann man mit der Union Wohnungspolitik machen?
Bernhard Daldrup: Erstens kann man, und zweitens müssen wir. Wir sind in einer gemeinsamen Koalition und haben die zwingende Notwendigkeit, wohnungspolitisch zu handeln.
Täuscht der Eindruck, dass die Union mieterfreundliche Ansätze blockiert, wo sie nur kann?
Daldrup: Nein, der Eindruck täuscht nicht. Das Mietrechtspaket …
… also die verschärfte Mietpreisbremse mit einer Auskunftspflicht für Vermieter über die Vormiete und einer verringerten Möglichkeit, Modernisierungskosten auf die Mieter umzulegen …
… hätte schon längst weiter sein können. Wir arbeiten hart daran, den Mietpreisanstieg zu verhindern. Und wir tun das gegen teils enorme Widerstände – auch von Teilen unseres Koalitionspartners. Aber jetzt ist das Mietrechtspaket im Kabinett beschlossen worden. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Am Freitag treffen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innen- und Bauminister Horst Seehofer mit Verbänden der Immobilienwirtschaft zum sogenannten Wohngipfel in Berlin. Für das Treffen sind nur zweieinhalb Stunden eingeplant. Schon deshalb werden keine spektakulären Ergebnisse erwartet.
Mehr Spannung verspricht der Alternative Wohngipfel im Berliner Umweltforum am Vortag. Erstmals vernetzen sich bundesweit Vertreter von Mieterinitiativen und -verbänden, Gewerkschaften, Experten und Parteien. Bernhard Daldrup, Caren Lay und Chris Kühn sitzen bei der Abschlussdebatte zusammen mit Lukas Siebenkotten vom Mieterbund auf dem Podium.
Nun haben Andrea Nahles und Thorsten Schäfer-Gümbel für die SPD ein Zwölfpunktepapier vorgelegt, indem vorgeschlagen wird, dass die Mieten künftig nicht mehr über die Inflationsrate hinaus erhöht werden dürfen. Frau Lay, Sie haben geschrieben, das sei Wählertäuschung. Warum?
Caren Lay: Die neue Mietpreisbremse, die die Koalition in den Bundestag eingebracht hat, hat mit dem Zwölfpunktepapier herzlich wenig zu tun. Sie wird den Mietenanstieg und die Verdrängung nicht stoppen. Deswegen finde ich es bemerkenswert, dass die SPD den Mietpreisbremsen-Kompromiss mit der Union erst verteidigt, als würde er viel bringen, und dann mit einem Positionspapier den Eindruck zu erwecken versucht, dass man eigentlich etwas ganz anderes will. Das ist Trickserei. Für die Forderung „Keine Mieterhöhungen über dem Inflationsausgleich“ bin ich 2014, als ich sie eingebracht habe, noch verlacht worden. Insofern freue ich mich, dass die SPD jetzt unsere Position übernommen hat.
sind Bundestagsabgeordnete und wohnungspolitische Sprecher ihrer Fraktionen.
Daldrup: Ich will ja gar nicht bestreiten, dass die Linke auch gute Ideen hat.
Lay: Danke.
Daldrup: Aber Trickserei ist es nicht. Es ist in jeder Koalition die Aufgabe einer Partei, sich zu fragen, was können wir in der Koalition umsetzen – und was ist das, was wir wirklich wollen. Aber zu einer guten Wohnungspolitik gehört eben auch eine engagierte Bau- und nachhaltige Bodenpolitik …
… die auch im Zwölfpunktepapier gefordert werden. Herr Kühn, unterstützen Sie die Forderung, dass Mieten nicht mehr als die Inflationsrate steigen dürfen? Das ist bisher nicht die Position der Grünen.
Chris Kühn: Die Wohnungsmärkte sind vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Unsere Position war bislang, dass die Miete bei Neuvermietungen nur fünf Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. Nicht zehn, wie es die Große Koalition beschlossen hat. Die SPD geht jetzt mit einer noch schärferen Position in die Debatte. Wenn sie das gegen die Union in den Bundestag einbrächte, würden wir uns dem nicht verschließen. Ich habe bei der SPD aber bisher vermisst, dass sie für ihre mietenpolitische Position kämpft. Als die Koalition im Sommer das Baukindergeld beschlossen hat, hätte die SPD das mit stärkeren Zugeständnissen der Union bei der Mietpreisbremse verknüpfen müssen. Dafür, dass sie Milliarden in die falsche Richtung geschoben hat, hat sie zu wenig bekommen.
Lay: Da schließe ich mich an. Die SPD hat dem Baukindergeld, einer Förderung zum Wohneigentum-Erwerb, zugestimmt – eine sinnlose Subvention. Jetzt soll die Sonder-AfA kommen …
... Steuererleichterungen für Bauherren …
… die nicht für einen sozialen Ausgleich auf dem Wohnungsmarkt sorgen werden. Auch dafür könnte die SPD etwas anderes heraushandeln.
Herr Daldrup, verhandelt die SPD zu schlecht?
Daldrup: Nein. Erstens stimmt es nicht, dass die neue Mietpreisbremse nichts wert ist. Zweitens vertrete ich schon lange, dass Wohnungen keine gewöhnlichen Waren sind, sondern etwas mit der Daseinsvorsorge zu tun haben – deshalb sind staatliche Interventionen gerechtfertigt. Diese Position durchzukämpfen ist nicht einfach. Drittens: Wir geben allein in dieser Wahlperiode 5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau aus. Das Baukindergeld und die steuerliche Abschreibung kommen dazu. Für mich sind alle drei wichtig. Nehmen wir Münster, mittlerweile eine Stadt mit hoch angespanntem Wohnungsmarkt. Die Orte um Münster können die Situation in der Stadt entspannen – dazu brauchen wir das Baukindergeld und die Sonder-AfA.
Kühn: Das Mietrecht ist Kernkompetenz des Bundes. Eine funktionierende Mietpreisbremse vor fünf Jahren hätte den Mietenanstieg in den letzten fünf Jahren deutlich abgebremst. Dafür kann ich die SPD nicht aus der Verantwortung entlassen, auch wenn die Union die Hauptschuldige ist.
Lay: Die Grünen haben die SPD in der Mietenfrage links überholt, obwohl sie eine andere ökonomische Wählerklientel vertreten. Das darf einer sozialdemokratischen Partei nicht passieren. Die Grünen und wir haben bei dem Beschluss zur ersten Mietpreisbremse richtig vorhergesagt, dass das Gesetz mit all seinen Ausnahmen und Bedingungen nicht funktionieren kann. Der damalige Justizminister Heiko Maas hat uns vorgeworfen, dass wir nach Haaren in der Suppe suchen.
Martin Schulz hat im letzten Wahlkampf überlegt, ob Mieten überhaupt ein großes Thema sind. Hat die SPD die Bedeutung des Themas unterschätzt?
Daldrup: Bei all den Schlaubergern, die jetzt so tun, als hätten sie es immer schon gewusst, krame ich gern einmal in den Reden nach. Es ist nicht lange her, als die Devise auch in der veröffentlichten Meinung noch lautete: Deutschland ist fertiggebaut. Das war Common Sense.
Konzentriert sich die Koalition momentan vor allem auf Eigentumsförderung im Neubau statt auf Bestandsmieten, weil das mit der Union eher machbar ist?
Daldrup: Nein. Wir geben nicht nur Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau aus, sondern arbeiten auch an einer Grundgesetzänderung, damit die Länder das Geld nicht mehr wie bisher für andere Zwecke verwenden dürfen.
Wann kommt die?
Daldrup: Die ist schon in der Beratung. Im Übrigen kenne ich viele Leute in der Wohnungswirtschaft, die sagen, wir haben momentan andere Probleme, als dass der Staat zu wenig Geld ausschüttet. Wir haben nicht genug Kapazitäten beim Bau, von fehlendem Bauland bis zu Lieferengpässen bei Material. Um ein Beispiel zu nennen: Solange ich Kommunalpolitik gemacht habe, war mir immer wichtig, dass man verdichtet. Jetzt sagt die etablierte Bevölkerung oft „Not in my backyard: Bauen ist ja schön und gut, aber bitte nicht bei mir.“
Lay: Für mich ist die Frage: Was ist der Schwerpunkt der Wohnungspolitik in dieser Legislatur? Für mich müssen die städtischen Mieterinnen und Mieter in der unteren Einkommensgruppe im Zentrum stehen. Die Gelder für das Baukindergeld und eine Sonder-AfA wären im sozialen Wohnungsbau oder bei der Unterstützung des städtischen und genossenschaftlichen und gemeinnützigen Wohnungsbaus deutlich besser angelegt. Das Baukindergeld sorgt vor allem dafür, dass sich die Mittelschicht auf dem Land steuervergünstigt Häuser baut, die sie sonst auch gebaut hätte.
Daldrup: Wenn man das Baukindergeld auch nutzen könnte, um Genossenschaftsanteile zu erwerben, hätte das auch eine Wirkung in den Städten.
Kühn: Das war bei der früheren Eigenheimzulage drin, ist es beim Baukindergeld aber nicht. Baukindergeld und Sonder-AfA werden die Situation auf den Wohnungsmärkten eher verschärfen, weil viel Geld Richtung Wohneigentums geschoben wird: Den 5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau stehen 10 Milliarden Euro für das Baukindergeld plus eine Sonderabschreibung gegenüber, von der kommunale Unternehmen und Genossenschaften nicht profitieren. Statt die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu fördern, brauchen wir eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit, um über eine steuerliche Förderung den gemeinnützigen Sektor beim Bauen zu stärken.
Lay: Bauen, bauen, bauen ist nicht die richtige Antwort. Die Frage ist doch: für wen? In den Großstädten sind in den letzten Jahren nur 5 bis 10 Prozent für Durchschnittsverdiener gebaut worden. Deswegen muss die Politik aus meiner Sicht den Anteil an öffentlichen, genossenschaftlichen und gemeinnützigen Wohnungen erhöhen. Auch die Linke fordert eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit, um ein Segment auf dem Wohnungsmarkt zu haben, das nicht profitorientiert ist.
Daldrup: Wohnungsgemeinnützigkeit ist eine vernünftige Forderung. Aber es gibt nicht das eine Wundermittel, sondern es kommt auf eine Mischung an. Wir setzen auf ein ganzes Maßnahmenbündel für bezahlbaren Wohnraum.
Kommt sie künftig auch ins SPD-Programm?
Daldrup: Da bin ich optimistisch.
Lay: Die Wohnungswirtschaft fürchtet die neue Wohnungsgemeinnützigkeit wie der Teufel das Weihwasser. Sie glauben nicht, wie viele Einladungen ich aus der Wohnungswirtschaft bekommen habe, die nur die Absicht hatten, uns von dieser Idee abzubringen.
Daldrup: Das hat nicht geklappt?
Lay: Das war für mich ein Zeichen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Gemeinnützigkeit könnte das Geld, das in den sozialen Wohnungsbau fließt, dauerhaft binden. Derzeit haben wir im sozialen Wohnungsbau Bindungsfristen von 15, 20 oder 30 Jahren – danach sind die Wohnungen wieder auf dem normalen Markt.
Kühn: Seit 2002 hat sich der Bestand im sozialen Wohnungsbau halbiert. Wenn wir die soziale Wohnraumförderung so belassen, wie sie heute ist, liegen wir Ende dieses Jahrzehnts bei knapp einer Million sozial gebundener Wohnungen. Das ist eine der Hauptursachen dafür, dass Menschen mit geringem Einkommen keine Wohnung in den Innenstädten finden. Wenn der Staat es ernst meint, muss er über eine dauerhafte Bindung nachdenken.
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