Streitgespräch Strompreise: „Nicht nachvollziehbare Horrorzahlen“
Eine Billion Euro für die Energiewende? Das glauben weder Energielobbyist Stephan Kohler noch der Grüne Hans-Josef Fell.
taz: Herr Kohler, Herr Fell, seit Monaten nimmt die Debatte über den Preis der Energiewende kein Ende. Nun behauptet Bundesumweltminister Peter Altmaier, das Vorhaben könne insgesamt eine Billion Euro kosten. Hat er recht?
Stephan Kohler: Diese Zahl hat mich überrascht, wir können sie nicht nachvollziehen.
Hans-Josef Fell: Herr Altmaier macht Panik mit nicht nachvollziehbaren Horrorzahlen. Er will damit nur Stimmung gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien machen. Klar ist, der vollständige Umstieg auf erneuerbare Energien ist wesentlich billiger, als an fossiler und atomarer Energieversorgung festzuhalten.
Altmaier und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler haben ein Konzept vorgelegt, wie sie die Stromkosten begrenzen wollen. Ist das die Rettung der Energiewende?
Fell: Das ist ganz klar das Ende der Energiewende. Damit investiert niemand mehr in erneuerbare Energien.
Kohler: Was ich an den aktuellen Vorschlägen kritisch sehe, ist, dass die Bundesminister Rösler und Altmaier die Förderung für Ökostrom gesetzlich auf ein jährliches Maximum beschränken wollen. Das geht mit dem aktuellen Fördersystem nicht, wenn wir gleichzeitig einen großen Zubau an Wind- und Solarstrom haben. Aber was man auch klar sagen muss: Wir hatten noch nie einen solchen Ausbau der Fotovoltaik wie im letzten Jahr. Fast 8.000 Megawatt. Bei dieser Dynamik vom Ende der Energiewende zu sprechen ist falsch.
Fell: Das ist Vergangenheit. Wir reden doch von der Zukunft und darüber, wie sich der Vorschlag der Bundesregierung auswirken wird. Mit der Dynamik ist es jetzt vorbei.
Kohler: Das behaupten Sie doch seit Jahren.
Fell: Natürlich ist die Fotovoltaik in den letzten Jahren stark ausgebaut worden. Heute müssen wir eigentlich darüber reden, warum uns die Chinesen mit Dumpingpreisen vom Markt drängen. Das ist keine Frage der Energiewende, sondern der Industriepolitik, und da kommt von der Bundesregierung nichts.
Sind die erneuerbaren Energien denn nun überfördert oder nicht?
Fell: Vielleicht sind es einige wenige, extrem gute Windstandorte im Norden. Aber allein wegen der Ankündigung von Förderkürzungen werden sehr viele Projekte nicht mehr gebaut. Rösler und Altmaier wollen, dass Solar- oder Windkraftwerke, auch Bioenergie und Wasserkraft einige Monate keine Vergütung bekommen, nachdem sie ans Netz gegangen sind. Die Banken fordern sofort mehr Eigenkapital, das Projekt wird teurer. Zudem soll die Vergütung für Anlagen, die bereits laufen, rückwirkend gekürzt werden. Da wird es massenweise Insolvenzen geben.
Kohler: Es geht rückwirkend um eine einmalige Kürzung von 1,5 Prozent, das würde ich nun wirklich nicht so dramatisch einschätzen. Wo ich Ihnen zustimme: Es gibt wegen der Vorschläge eine Verunsicherung bei der Finanzierung. Da schauen die Banken genau hin und verlangen Risikoaufschläge. Das können professionelle Investoren mit großem Finanzpolster besser puffern als Bürgerwindparks oder Genossenschaften
Hans-Josef Fell, 61, ist energiepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen und war von 2005 bis 2011 Vizepräsident des Vereins Eurosolar. Er lebt in einem preisgekrönten Holzhaus mit Grasdach.
Stephan Kohler, 60, seit 2006 Chef der Deutschen Energie-Agentur (dena), davor beim Öko-Institut und beim BUND. Er hat statt Dienstwagen eine Bahncard 100. Die dena nennt sich Kompetenzzentrum der Energiewende und ist federführend beim Plan zum Netzausbau. Sie gehört zur Hälfte dem Bund, zu 26 Prozent der KfW und zu je 8 Prozent der Allianz, der Deutschen Bank und der DZ Bank.
Seit Monaten debattiert Deutschland über zu hohe Strompreise. Ist die Energiewende schuld?
Fell: Nein. Der Strompreis hierzulande steigt langsamer als in anderen europäischen Ländern. Was sich wirklich verteuert, ist das Heizöl, das ist die größte Belastung für die Haushalte. Und was machen Altmaier und Rösler? Debattieren nur die Strompreise. Nur mit erneuerbaren Energien kommen wir raus aus der Preisspirale fossiler Rohstoffe. Es ist ein Schildbürgerstreich, den Ausbau der erneuerbaren Energien jetzt zu bremsen.
Herr Kohler, ist die Strompreisdebatte nur aufgesetzt?
Kohler: Wir diskutieren zu viel über den Strompreis und zu wenig über die kompletten Energiekosten, also auch das Heizen. Wenn man alle Energiekosten zusammenzählt, sind einkommensschwache Haushalte tatsächlich an der Grenze ihrer Belastung. Dabei könnte der Stromverbrauch in privaten Haushalten ohne Probleme um 20 bis 30 Prozent reduziert werden. Wir müssen uns stärker um die Einkommensgruppen kümmern, die sich weder einen effizienteren Kühlschrank leisten noch über die Wärmedämmung ihrer Mietwohnung entscheiden können.
Warum dann die Strompreisdebatte? Geht es darum, die Energiewende nochmals infrage zu stellen?
Kohler: Das glaube ich nicht. Ich sehe keine Partei, die den Ausstieg aus der Kernenergie grundsätzlich infrage stellt. Heftige Debatten werden nur über die Geschwindigkeit der Energiewende geführt.
Fell: Das ist doch das Entscheidende. Wir können und sollten die Stromerzeugung bis 2030 komplett auf regenerative Quellen umstellen, nicht erst im Jahr 2050 zu 80 Prozent, wie es die Bundesregierung will. Es sind die Atom- und Kohlekonzerne, die das verhindern wollen, die den Atomausstieg bis heute nicht akzeptieren, es sind die Gasunternehmen und natürlich auch die Mineralölkonzerne. Wenn der Anteil der Erneuerbaren steigt, machen diese Firmen weniger Umsatz und Gewinn. Deren Interessen unterstützt die Bundesregierung.
Kohler: 2030 halte ich für unmöglich, weil wir unser System nicht so schnell umbauen können. Wir müssen auf unsere internationale Konkurrenzfähigkeit achten. In nur 17 Jahren ein Industrieland in der Mitte Europas komplett umzustellen ist zu kompliziert und zu teuer.
Wird das System der regenerativen Energien künftig billiger als das der alten, fossilen?
Fell: Erneuerbare sind für Investoren schon heute häufig billiger. Das sage nicht ich, ich zitiere nur aus einer Bloomberg-Studie. Wenn wir ehrliche Preise hätten, wären sie es sowieso. Aber die Schäden der fossilen Rohstoffe durch den Klimawandel oder die Endlagerkosten der Atomenergie tauchen auf der Stromrechnung nicht auf. Sonst wären Erneuerbare klar günstiger.
Kohler: Betriebswirtschaftlich sind nur einige Standorte der Windkraft und Biomasse tatsächlich konkurrenzfähig. Fotovoltaik, Offshorewind und Geothermie sind aber weit weg davon, wirtschaftlich zu sein. Irgendwann ist Ökoenergie billiger als konventionelle. Aber die Frage ist, wie schnell wir die Systemanpassung bewältigen können.
Würde die Energiewende günstiger, wenn sie etwas langsamer voranginge?
Fell: Nein, überhaupt nicht. Der Ölpreis steigt, das fossile System wird immer teurer. 2004 hat die Internationale Energieagentur für heute einen Ölpreis von 22 Dollar prognostiziert. Tatsächlich sind es jetzt 110 Dollar. In fünf Jahren wird der Hype um die neuen Öl- und Gasvorkommen in Nordamerika vorbei sein. Dann geht es munter weiter aufwärts mit den Kosten der fossilen Energien.
Kohler: Ich sehe das anders. Derzeit sinken doch die Kohle- und Gaspreise, weil unter anderem die USA mittels Fracking neue Vorkommen ausbeuten. Länder wie Polen und China werden diesem Beispiel folgen. Die Preise der fossilen Energien stagnieren möglicherweise in den nächsten zehn Jahren, während wir uns hier in Deutschland eine zu schnelle und zu teure Energiewende leisten. Wir müssen den Ausbau der erneuerbaren Energien an die übrigen Entwicklungen anpassen. Wir benötigen einen Mix aus regenerativen Energieträgern, der sowohl Windkraftwerke in Süddeutschland beinhaltet als auch Windenergie auf dem Meer. Hier ist aber die Entwicklung deutlich langsamer als ursprünglich geplant. Am Erfolg der Energiewende ändern solche Akzentverschiebungen nichts.
Wann wäre die Energiewende gescheitert?
Fell: Ich würde es als Scheitern betrachten, wenn es Altmaier und Rösler gelänge, das Erneuerbare-Energien-Gesetz in seinen Grundbestandteilen zu ändern – so, wie sie es jetzt vorhaben.
Kohler: Sie würde scheitern, wenn man das Gesetz zum Ausstieg aus der Atomkraft aufweichen würde. Dieser Beschluss hält den Druck für die Realisierung der Energiewende aufrecht.
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