Streit zwischen Indien und Pakistan: Konflikt in Kaschmir eskaliert weiter
Die beiden Atommächte liefern sich die schwersten Kämpfe seit 20 Jahren. Internationale Akteure rufen zur Deeskalation auf.

„Die Menschen verlassen ihre Häuser nicht“, sagt die Boutiquebetreiterin Sadia in Srinagar, Sommerhauptstadt des indischen Teils von Kaschmir, der taz am Telefon. Den Menschen sei nicht zum Einkaufen zumute. Auch sie selbst habe Angst vor pakistanischer Vergeltung und will daher ihren Nachnamen nicht nennen. In den nördlichen Teilen Indiens, die an Pakistan grenzen, herrscht höchste Alarmbereitschaft. Viele Flughäfen und Schulen sind vorübergehend geschlossen. Von der Waffenstillstandslinie werden tödliche Gefechte gemeldet. Im indischen Teil Kaschmirs starben bisher mindestens 16 Menschen, darunter fünf Kinder.
„Um zwei Uhr morgens schlug eine Granate in unserem Haus ein“, berichtet Bhaderuddin Naik aus der Grenzstadt Uri im indischen Kaschmir der taz. „Zuerst konnten wir nicht schlafen, da der Beschuss nicht aufhörte“, so der 35-jährige Arbeiter. Dann kam die Explosion. „Ich, mein Sohn und die Frau meines Bruders wurden verletzt.“ Die Polizei rette die Familie aus dem brennenden Haus.
So reagierte Pakistan auf die indischen Luftangriffe der „Operation Sindoor“ in der Nacht zum Mittwoch, bei denen laut indischen Medien 70 Menschen starben. Der Militärschlag war seit Längerem erwartet worden. Beim indischen Vergeltungsschlag wurden „jene ins Visier genommen, die unschuldige Zivilisten getötet haben“, erklärte Verteidigungsminister Rajnath Singh von der hindunationalistischen Regierungspartei BJP.
Indiens „Recht auf Reaktion“
Indien habe von seinem „Recht auf Reaktion“ nach dem Terroranschlag in Pahalgam Gebrauch gemacht. Er erklärte, es seien Lager zerstört worden, in denen Terroristen in Pakistan und im pakistanisch verwalteten Teil Kaschmirs ausgebildet wurden. Ein Ziel soll das Hauptquartier der Terrorgruppe Lashkar-e-Taiba gewesen sein. Indien macht sie für den Anschlag vom 22. April mit 26 Toten sowie für die Anschläge von Mumbai 2008 verantwortlich. Weitere Militante, darunter Rauf Azhar, sollen getötet worden sein.
„Die Regierung muss den von Pakistan gesponserten Terrorismus stoppen“, fordern Stimmen aus Indien. Der Preis dafür sind die aktuellen Auseinandersetzungen. „Operation Sindoor war eine Rache für uns 27 Familien“, sagte die Südinderin Kamakshi Prasanna vor laufenden TV-Kameras und dankte Premierminister Narendra Modi. Sie hatte am 22. April bei dem Anschlag ihren Mann verloren. Innenpolitisch schweißt der Konflikt das Land zusammen. „Unsere volle Unterstützung gilt den Streitkräften“, erklärte Oppositionsführer Rahul Gandhi von der Kongress-Partei. Indien hat bisher drei Kriege gegen Pakistan geführt, zwei davon wegen der umstrittenen Himalaja-Region Kaschmir.
Pakistanische Medien meldeten dagegen am Mittwoch den Abschuss von fünf indischen Jets, die den Luftraum verletzt hätten, sowie am Donnerstag den Abschluss von 25 Drohnen. Indien soll wiederum für Drohnen-Angriffe auf die Städte Karatschi und Lahore verantwortlich sein.
Pakistans Premierminister Shehbaz Sharif sagte, sein Land habe „jedes Recht, auf Kriegshandlungen Indiens mit aller Härte zu reagieren“. Zuvor verurteilte er die Angriffe als „feige“, Vergeltung folge umgehend. Außenminister Khawaja Asif warnte vor einer „nuklearen Konfrontation“, falls Indien die Eskalation fortsetze.
Iran und USA bieten Vermittlung an
Noch am Mittwochnachmittag gab Islamabad seiner Armee grünes Licht für eine „angemessene Antwort“ auf Indien. Islamabad bestreitet jede Beteiligung an dem jüngsten Anschlag in Indien. Delhi sieht jedoch den pakistanischen Militärgeheimdienst im Hintergrund agieren. Pakistans Informationsminister beteuerte, sein Land sei selbst Opfer des Terrorismus.
Die britisch-indische Professorin Nitasha Kaul von der Universität Westminster erklärte gegenüber der taz, die kaschmirische Gesellschaft in Indien habe den Anschlag als terroristischen Akt verurteilt. Doch nun seien es die Menschen in Kaschmir, die erneut litten. Bevor Indien Vergeltung übte, hatte sich innenpolitischer Druck aufgebaut.
Internationale Akteure wie die UN, die EU, China und Russland riefen zur Deeskalation auf. Präsident Trump bot ebenso wie der Iran seine Vermittlung an. Irans Außenminister Abbas Araghtschi setzte nach einem Besuch in Pakistan am Donnerstag Vermittlungsgespräche in Neu-Delhi fort: Er traf seinen indischen Kollegen Subrahmanyam Jaishankar. „Unsere Region braucht Ruhe“, sagte Araghtschi.
Der US-Südasienexperte Michael Kugelman vom Woodrow Wilson Center geht bisher nicht von einem atomaren Krieg aus. Er warnt aber vor erheblicher Gewaltbereitschaft. Kugelman spricht von einem „Krieg der Narrative“, bei dem es um die Deutungshoheit geht. Mit neuen Drohgebärden bleibe aber die Sorge vor einer weiteren Eskalation. „Indien muss mit maximaler Wachsamkeit vorbereitet sein“, mahnt der indische Sicherheitsexperte Brahma Chellaney. Die Lage sei noch nicht entschärft. Der wahre Test für die Regierung Narendra Modi werde kommen, wenn Pakistan militärisch zuschlage, so Chellaney.
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