Streit um neues Kraftwerk in Bremen: Der Schlamm soll brennen
Eine Bürgerinitiative in Ostfriesland hat eine Klärschlammverbrennung in den Niederlanden vorerst gestoppt. Bremen baut gerade eine ähnliche Anlage.
Die hat mit Unterstützung der Stadt Borkum erfolgreich gegen eine ganz ähnliche Anlage im niederländischen Delfzijl geklagt: Die 2020 erteilte Genehmigung wurde im Sommer annulliert. Der Grund: Die prognostizierten Quecksilberemissionen und deren Berechnung. Die Initiative hatten auf die sogenannte „Minimalisierungspflicht“ für besonders besorgniserregende Stoffe nach EU-Recht verwiesen – und sich damit durchgesetzt.
Die Kritiker:innen befürchten, dass die Gifte unter anderem das Naturschutzgebiet Wattenmeer und die Insel Borkum belasten. Die Anlage soll 2024 in Betrieb gehen und dann bis zu 185.000 Tonnen Klärschlamm pro Jahr verarbeiten, um Energie zu gewinnen und Phosphat zu recyclen.
Das Urteil der Rechtbank Noord-Nederland in Groningen basiert nicht auf niederländischem, sondern auf europäischem Recht – und das gilt ja auch in Bremen. Zwar glaubt man hier nicht mehr, das neue Kraftwerk noch verhindern zu können, es ist ja fast fertig gebaut. Strittig ist aber, wie viel Gift es in die Luft blasen darf: „Uns geht es darum, dass wir in Bremen größtenteils wesentlich schlechtere Schadstoffwerte haben als in Delzijl“, sagt Winge – auch beim Quecksilber.
Klärschlämme fallen bei der Abwasserbehandlung an. Früher wurden sie auf die Äcker gekippt und haben so das Grundwasser unter anderem mit Nitraten belastet.
Wegen strengerer gesetzlichen Anforderungen ist diese „landwirtschaftliche Entsorgung“ künftig verboten: Für Kläranlagen ab einer Kapazität von mehr als 50.000 Einwohnerwerten ist die Verbrennung ab 2029 verpflichtend.
Der im Klärschlamm enthaltene Phosphor soll zurückgewonnen werden – das verlangt der Gesetzgeber ab 2029.
„Das führt dazu, dass Vogelarten wie Flussseeschwalbe und Austernfischer besonders stark belastet werden.“ Zudem sei die nächste Wohnbebauung nur 250 Meter von dem neuen Kraftwerk entfernt.
Und das OSPAR genannte „Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt und des Nordatlantiks“ gelte auch an der Weser in Bremen – das Bundesland wäre also verpflichtet, bei der neuen Klärschlammverbrennungsanlage niedrigere Schadstoffwerte etwa für Quecksilber oder das krebserregende Benzo(a)pyren durchzusetzen, argumentiert Winge: Bremen missachte das „Minimierungsgebot“ für besonders gefährliche Stoffe. „Weder der Bremer Bevölkerung noch der Umwelt sind derartig hohe Schadstoffkonzentrationen zuzumuten“, sagt Winge. Die Bremer Bürgerinitiative prüft nun, ob sie noch gegen die örtliche Anlage vorgehen kann.
Im von den Grünen regierten Bremer Umweltressort hegt man „keine Befürchtung“, dass die umstrittene Anlage noch gestoppt werden könnte, sagt Sprecher Jens Tittmann. Ob die Emmissionswerte in Bremen höher lägen als in Delfzijl oder nicht, sei auch „vollkommen egal“ – denn sie lägen alle im Rahmen des rechtlich Zulässigen. Rein juristisch kommt es allerdings nicht nur auf die Einhaltung absoluter Grenzwerte an, sondern auch darauf, ob die Anlagen dafür die momentan „besten verfügbaren Techniken“ ausreichend nutzen.
Die erlaubten Grenzwerte zumindest würden in Bremen „massiv unterschritten“, sagt Tittmann mit Verweis auf ein Gutachten des TÜV Nord. So werde der Staubniederschlagsgrenzwert der Anlage um den Faktor 50 unterschritten, der darin enthaltene Wert für Quecksilber sogar um den Faktor 1.000. Das alles sei im Genehmigungsverfahren „sehr intensiv geprüft“ worden, sagt Tittmann – eine Klage gegen die Anlage sei jetzt ohnehin nicht mehr möglich.
Im Ressort verweist man darauf, dass auch der Nabu und der BUND auf Einwendungen verzichtet hätten. Das stimme zwar, heißt es beim Nabu, bedeute aber nicht, dass die beiden Naturschutzverbände zustimmen: „Wir wurden seinerzeit beteiligt, haben aber mangels Expertise keine Stellungnahme abgegeben“, so der Nabu. „Wir prüfen just, ob wir die Gewerbeaufsicht darauf ansetzen“, auch eine Klage auf der Basis des Urteils aus Groningen werde geprüft.
Ähnliches ist beim BUND zu hören: „Wir hatten und haben keine Kapazitäten, uns damit im Detail zu beschäftigen“, sagt der Bremer Landesvorsitzende Klaus Prietzel. Dieter Winge findet es „sehr unglücklich“, dass die Fachverbände kein Personal haben, um derartige Verfahren „vernünftig zu begleiten“.
Derweil wirbt der Betreiber der Bremer Klärschlammverbrennungsanlage für seinen Neubau: „Wir setzen höchste Umweltschutzstandards“, sagt Oliver Ladeur von Hansewasser. „Durch die moderne und hocheffektive Rauchgasreinigungsanlage ist sichergestellt, dass keine Schadstoffe oder Gerüche emittiert werden.“
Außerdem werde das Kraftwerk in Bremen in einem Industrie- und nicht in einem Naturschutzgebiet gebaut. Bei der Suche nach dem Standort habe dieser hier am Industriehafen in Bremen „aus ökologischer und ökonomischer Sicht am besten abgeschnitten“.
Ladeur verweist in diesem Zusammenhang auch auf den geplanten Kohleausstieg: Schließlich werden über das Kohlekraftwerk in Bremen bisher viele Haushalte nicht nur mit Strom, sondern auch mit Fernwärme versorgt. Wenn es stillgelegt wird, könnte die neue Klärschlammverbrennungsanlage einen Teil dieses Strom und dieser Fernwärme liefern. Am Ende werde an diesem Standort eine Million Tonnen weniger Kohlendioxid emittiert, verspricht Ladeur. Außerdem reduziere sich der Feinstaub deutlich, und die Klärschlammtransporte mit dem Lastwagen nach Hamburg oder Nordrhein-Westfalen fallen dann auch weg.
Die Reststoffe, die auch die neue Anlage noch in Bremen hinterlassen wird, sollen in einer unterirdischen Reststoffdeponie in Südniedersachsen endgelagert werden.
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