Streit um Trümmerfrauen-Denkmal: Der Union gefällt das
In München verhüllen zwei Grüne einen Gedenkstein für Trümmerfrauen. Ihr Vorwurf: „Geschichtsklitterung“. Jetzt tobt ein Shitstorm auf Facebook.
MÜNCHEN taz | Auf seine Mutter lässt Ernst Streck nichts kommen. Wann immer Bomben auf München-Pasing fielen, habe sie am nächsten Tag mit den Nachbarinnen Schutt von der Straße geschleppt. Auch als der Krieg vorbei war, hätten die Frauen weiter aufgeräumt. „Aber mit den Nazis hatte meine Mutter nichts am Hut“, sagt der 78-Jährige. Da könnten die Grünen behaupten, was sie wollen.
Streck steht in der Münchner Altstadt am Denkmal für die Trümmerfrauen. Ein unauffälliger Steinbrocken, der in den letzten Tagen einen Shitstorm gegen zwei Landtagsabgeordnete der Grünen auslöste – Morddrohungen inklusive. Um „gegen Geschichtsklitterung“ zu demonstrieren, verhüllten Katharina Schulze und Sepp Dürr das Denkmal am vergangenen Donnerstag mit einem Sack.
Seitdem erhalten sie Anfeindungen. Unter anderem über eine Facebook-Seite, die über 17.000 Neonazis, Normalbürger und sogar Unions-Abgeordnete mit „Gefällt mir“ markierten.
Der Verein Trümmerfrauen e. V., geleitet von Lokalpolitikern der CSU, stellte den Stein im Mai auf. Darauf ist zu lesen: „Den Trümmerfrauen und der Aufbaugeneration Dank und Anerkennung. Im Wissen um die Verantwortung.“ Das Grundstück stellte der Freistaat Bayern zur Verfügung. Der Münchner Stadtrat hatte das Denkmal zuvor abgelehnt. Er berief sich auf Erkenntnisse von Historikern: Trümmerfrauen wie in anderen deutschen Städten habe es in München kaum gegeben. Nur 1.330 Männer und 102 Frauen hätten direkt nach dem Krieg Schutt beseitigt. Zum Großteil ehemalige Nazis, denen sonst der Entzug ihrer Lebensmittelmarken gedroht hätte.
Fatales Signal
„Die pauschale Ehrung von Altnazis durch den Freistaat halten wir, wie viele Historiker, für ein fatales Signal“, sagten die Grünen-Abgeordneten, als sie den Gedenkstein verhüllten. Der zuständige bayerische Bildungsminister Ludwig Spaenle (CSU) entgegnete, es gehe ihm bei dem Denkmal „auch um die Leistungen der Aufbaugeneration insgesamt, nicht nur in München“.
Seit der Protestaktion erhalten die beiden Grünen pausenlos E-Mails empörter Internetnutzer. „Linksextreme Rotzgöre ist heute die freundlichste Bezeichnung“, twitterte Schulze am Wochenende. Auch Grüne aus anderen Bundesländern finden Drohmails in ihren Postfächern. Vor einer Berliner Geschäftsstelle der Partei hing ein Transparent mit der Aufschrift „Die Grünen sind Denkmalschänder“.
„Aufhängen ist die einzige Lösung!“
Der Mob tobt auch auf der von Unbekannten gegründeten Facebook-Seite „Ehrt die Trümmerfrauen“. Die bayerische NPD empfahl sie weiter. „Aufhängen ist die einzige Lösung!“, kommentiert eine Userin. „In Auschwitz?“, fragt ein anderer. Als die Münchner Abendzeitung über die Drohungen berichtete, sagten die Administratoren, sie selbst seien „weder rechts noch links, sondern überparteilich“.
Unter den Facebook-Nutzern, die auf „Gefällt mir“ klickten, befinden sich tatsächlich nicht nur Neonazis. Neben zahlreichen Normalbürgern waren zumindest bis Dienstagvormittag auch zwei Landtagsabgeordnete der CSU und vier Bundestagsabgeordnete der CDU dabei. Michael Donth, für Reutlingen im Bundestag, gefällt die Seite noch immer. Von Morddrohungen distanziere er sich zwar, aber er „stehe zur Leistung der Trümmerfrauen“.
Der bayerische Landtagsabgeordnete Florian Herrmann löschte sein „Like“ nach einer Anfrage der taz. Als er die Seite am Freitag anklickte, seien ihm rechtsextreme Kommentare nicht aufgefallen. „Erbärmlich“, sagt der Grüne Dürr. „So ein Verhalten kennzeichnet einen Mob: Sobald man Einzelne unter Druck setzt, kehren sie zurück in ihre Löcher.“
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