Streit um "Stuttgart 21": Der Griff nach dem letzten Strohhalm
Nur die Gegner des Tiefbahnhofs wollen den Kompromiss von Schlichter Heiner Geißler überhaupt prüfen. Inzwischen vergibt die Bahn weitere millionenschwere Bauaufträge.
STUTTGART taz | Die Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 wollen nach dem Kompromissvorschlag von Heiner Geißler eine zweigleisige Strategie fahren. "Wir werden diesen Kompromissvorschlag tatsächlich prüfen und werden auch Gespräche mit der Landesregierung führen", sagte Brigitte Dahlbender, die Sprecherin des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, der taz. Gleichzeitig kündigte die baden-württembergische BUND-Landesvorsitzende neue Proteste an.
"Das Aktionsbündnis ist in der Lage, sich energisch für den Kopfbahnhof einzusetzen und sich gleichzeitig einen Kompromissvorschlag einmal anzusehen", meinte Dahlbender. "Das schwächt uns doch nicht." Eine optimistische Sichtweise.
Unter der Überschrift "Frieden in Stuttgart" hatte S-21-Schlichter Geißler am Freitag bei der Präsentation des Stresstests im Stuttgarter Rathaus überraschend einen Kompromissvorschlag auf den Tisch gelegt. Darin schlägt der Christdemokrat eine Kombilösung aus einem teils oberirdischen und teils unterirdischen Bahnhof vor - ein Konzept, das bereits in den neunziger Jahren diskutiert worden war. Er habe nicht den Raum verlassen wollen, ohne den Versuch, doch noch eine Verständigung in dem "verbitterten" Streit anzubieten, begründete der 81-Jährige seinen Vorstoß.
Wenig Aussicht, das Milliardenprojekt noch zu stoppen
Tatsächlich sind jedoch die S-21-Gegner und der grüne Landesverkehrsminister Winfried Hermann die Einzigen, die signalisieren, sich mit dem Kompromissvorschlag überhaupt ernsthaft auseinandersetzen zu wollen. Die Tiefbahnhofsgegner geraten immer weiter in die Defensive. Die Möglichkeiten, das Milliardenprojekt noch zu stoppen, sind rapide geschwunden. Da greift man auch nach dem kleinsten Strohhalm.
Sie nehme "den Vorschlag von Heiner Geißler ernst und wird ihn in verkehrlicher, finanzieller und planungsrechtlicher Hinsicht auf seine Tragfähigkeit überprüfen", teilte die grün-rote Landesregierung Baden-Württembergs am Wochenende schriftlich mit. Und weiter: "Die Landesregierung will mit der Deutschen Bahn über das weitere Vorgehen sprechen."
Die Gegenseite hat solche Höflichkeiten nicht nötig. Auf Seiten der S-21-Befürworter findet sich niemand, der dem Schlichtervorschlag etwas Positives abgewinnen will. Als "uralt" bezeichnete ihn Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) kühl. Mit der Vergabe weiterer millionenschwerer Bauaufträge gab die Deutsche Bahn am Wochenende ihre eindeutige Antwort auf den Schlichtervorschlag.
Der Bahn spielt in die Hände
Bereits am Freitagabend hatte Bahnvorstand Volker Kefer Stellung bezogen: "Wir werden natürlich mit dem Projekt weitermachen." Die Bahn verfüge über die nötigen Planfeststellungsbeschlüsse. Einen erneuten Bau- und Vergabestopp lehnte er ab.
Etwas anderes hätte er aus Sicht der Bahn auch gar nicht tun müssen. Ihr spielt derzeit alles in die Hände. Der Stresstest ist trotz aller noch offenen Fragen und Kritikpunkte in den meisten Köpfen als "bestanden" abgehakt. Und auch für die Volksabstimmung dürfte bereits jetzt feststehen: Mit ihr lässt sich das milliardenschwere Projekt nicht mehr stoppen. Allein aufgrund der hohen gesetzlichen Hürden tendieren die Erfolgsaussichten gegen null. Das Einzige, was den S-21-Gegnern derzeit noch bleibt, ist die Hoffnung, dass sich ihre Zweifel an den offiziellen Kostenrechnungen bewahrheiten. Auch deswegen versuchen sie, auf Zeit zu spielen. Entsprechend war ihr sofortiger Reflex auf Geißlers Vorschlag, umgehend wie vergeblich einen Bau- und Vergabestopp zu fordern.
In der Bevölkerung schwindet allerdings die strikte Ablehnung von S 21. Mit ihrem Signal, sie könnten von ihren Grundsatzpositionen abrücken, dürften die Gegner diesen Stimmungsumschwung wohl noch weiter verstärken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“