Streit um Stauffenberg-Gedenken: Angst vor Ambivalenz
In Hannover setzt sich ein Arbeitskreis für eine Stauffenberg-Gedenktafel ein. Die Stadt rührte sich nicht, bis die AfD das Thema aufgriff.
Ausgangspunkt war die Initiative von Wolfgang Leonhardt, Leiter des Geschichtskreises Hannover-List, der vorschlug, eine Tafel am Haus im Lister Kirchweg anzubringen, in dem Stauffenberg mit seiner Familie in den 1930ern zwei Jahre lang gelebt hatte. In der Umgebung hängen zwei Gedenktafeln, eine verweist auf zwei SPD-Mitglieder, die von den Nazis erschossen wurden, eine andere auf den früheren Standort eines NSDAP-Museums. Für Leonhardt wäre eine Gedenktafel am Hause Stauffenbergs eine „Vervollständigung der Geschichte“, deren Spuren auf den Stadtteilspaziergängen nachgegangen wird.
Leonhardt hat vor acht Jahren erstmals Stadt, Stadtrat und Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises eine Gedenktafel vorgeschlagen – daraufhin geschah jahrelang nichts. Ihm ist es „ein Rätsel“. Anja Menge, die Sprecherin des Oberbürgermeisters, dem die Entscheidung letzten Endes obliegt, schreibt dazu, dass die Rolle Stauffenbergs „unterschiedlich bis gegensätzlich bewertet“ wurde. Deshalb sei „sowohl in Fachkreisen, in der Verwaltung und auch in Ratsgremien immer wieder ergebnisoffen diskutiert“ worden, „ob und wie Stauffenberg passend gewürdigt werden kann“.
Diese Lücke nutzte die AfD im Bezirksrat Vahrenfeld-List und stellte dort im Januar den Antrag, eine Gedenktafel vor dem Haus im Kirchweg aufzustellen, versehen mit einem QR-Code, der zum Wikipedia-Eintrag Stauffenbergs führt. Der Bezirksrat lehnte den AfD-Antrag ab; CDU und SPD stellten gemeinsam einen Alternativ-Antrag, in dem sie eine bloße Gedenktafel ohne weitere Verweise forderten.
„Verspätet im Widerstand“
Bezirksbürgermeisterin Irma Walkling-Stehmann (SPD) sagt, Wolfgang Leonhardt sei „immer wieder“ – es ist das „immer wieder“, das auch aus dem Oberbürgermeisterbüro zu hören ist – an sie herangetreten. „Ich will mich ihm nicht in den Weg stellen.“ Dennoch bleibt das Gedenken an Stauffenberg für sie ambivalent: „Er war für mich ein bisschen verspätet im Widerstand.“ Und: „Als Offizier der Wehrmacht weiß man, worauf man sich einlässt.“ Und gerade deshalb möchte sie keine Gedenktafel, die durch zusätzliche Erläuterungen hervorgehoben ist.
Dass die AfD in List die Erinnerung an Stauffenberg an sich zieht, ist symptomatisch. „Sie wollte den anderen Parteien eine reinwürgen“, so beschreibt es Leonhardt lakonisch. „Die neue Rechte bemüht sich seit zehn Jahren, Stauffenberg zu vereinnahmen“, sagt Johannes Tuchel, der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Das sei „Missbrauch“, dem man vor allem publizistisch entgegentreten müsse. Nachkommen Stauffenbergs haben sich mehrfach gegen solche Bestrebungen der AfD gewehrt, einer der Enkel nannte die Inszenierung seines Großvaters als Rechtsnationalen gegenüber der Süddeutschen Zeitung „abartig“.
Die Diskussion um Stauffenbergs Aktivitäten in der Wehrmacht und um die Frage, wie demokratisch seine Vorstellungen eines Nach-Hitler-Regimes waren, wird laut Tuchel unter HistorikerInnen schon lange geführt. Neu sei, dass dies inzwischen auch eine breitere Öffentlichkeit erreicht habe. Stauffenberg ist für ihn eine „Persönlichkeit mit Brüchen“, ein Mensch, der „eine Entwicklung hin zu einem entschiedenen Gegner des Nationalsozialismus“ vollzogen hat.
Es ist bemerkenswert, dass eben das für viele der KritikerInnen ausschließlich ein Makel ist. Ihr Anspruch an ein Vorbild droht damit ein absoluter zu werden. Was sich in Sachen Vorbildfunktion als Bumerang erweisen kann: Wo der Abstand zwischen sich selbst und dem fehlerlosen Vorbild ohnehin riesig ist, kann man sich entmutigt zurückziehen.
Im Bezirksrat enthielten sich die Grünen der Stimme, weil sie sich keinem von der AfD initiierten Gedenken anschließen wollten, berichtet die HAZ. Doch dass sich der Rat letztendlich für eine Gedenktafel entschieden hat, spielt praktisch keine Rolle, denn es hat nur Empfehlungscharakter. Und: Der Eigentümer des Hauses im Kirchweg hat das Anbringen einer Tafel abgelehnt, weil es dafür keinen geeigneten Platz gebe. Nun will die Stadt Gespräche führen, um „eine für alle Beteiligten zufriedenstellende Lösung zu finden“. Das kann dauern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld