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Streit um Lehrplan für OberschulenSchulreform spaltet Spanien

Der Bürgerkrieg oder traditionelle Geschlechterrollen sollen in spanischen Schulen kritischer beleuchtet werden. Die Konservativen üben harsche Kritik.

Auf die Schü­le­r:in­nen in Spanien kommt veränderter Lehrstoff zu Foto: Sofia Moro Cover/getty images

Madrid taz | Wenn Mitte September das neue Schuljahr in Spanien beginnt, steht für die angehenden Abiturientinnen und Abiturienten eine ganze Reihe neuer Themen auf dem Lehrplan: der Klimanotstand, der kritische Blick auf traditionelle Geschlechterrollen oder die Würdigung der Opfer der Franco-Diktatur. So sieht es der neue Rahmenlehrplan der spanischen Regierung für die Oberstufe vor, der im April verabschiedet worden ist. In Spanien kommen 60 Prozent der Lehrinhalte von der Zentralregierung, 40 Prozent dürfen die Regionalregierungen ausgestalten.

In einer Region jedoch stemmt sich die Regionalregierung mit allen Mitteln gegen die neuen Inhalte. „Wir werden alle Schulbücher in der Region Madrid durchschauen und beantragen, dass alle Bücher und alle Texte, die sektiererisches Material enthalten, aus den Schulen genommen werden“, kündigte die Präsidentin der Madrider Regionalregierung, Isabel Díaz Ayuso, an.

Insgesamt identifiziert die Politikerin des konservativen Partido Popular 30 Konzepte, mit denen die linke Regierung unter Pedro Sánchez die Schülerinnen und Schüler im Land „indoktrinieren“ wolle. Entsprechende Formulierungen würden aus dem Lehrplan gestrichen, verspricht Ayuso. Gegen die neuen Schulbücher reichte sie im Juni Klage beim Obersten Gericht ein. Den Schulen in Madrid empfiehlt ihre Regierung, im kommenden Schuljahr die alten Bücher weiterzuverwenden.

Nicht die erste Schulreform, die spaltet

Es ist nicht das erste Mal, dass eine Schulreform in Spanien das Land spaltet. Als das spanische Parlament mit den Stimmen der linken Regierungs- sowie der Regionalparteien Ende 2020 die starke Stellung der Privatschulen und des Religionsunterrichts beschnitt, sahen Konservative und die katholische Kirche darin eine Kampfansage. Auch damals kämpfte die konservative Madrider Regionalregierung an vorderster Front.

Die 43-jährige Ayuso hat im vergangenen Jahr mit der angeblichen Indoktrinierung an Schulen bereits ihren Wahlkampf bestritten. Seither macht sie mit dem Thema Stimmung gegen die Zentralregierung. Anfang Juni erst hat ihre Regierung einen Lehrplan für Kinder bis 6 Jahre vorgestellt, der ein unliebsames Thema – Entdeckung der Sexualität – einfach gestrichen hat. Ähnliches plant Ayuso nun auch bei dem neuen Oberstufenlehrplan. Die Liste ist dieses Mal nur viel länger.

So ist ihr die kritische Beleuchtung der Kolonialgeschichte Spaniens ebenso unrecht wie die Unterrichtseinheit über das von der Monarchie geschaffene zentralistische Spanien. Natürlich soll auch von „nationalen und regionalen Identitäten“ innerhalb Spaniens so wenig wie möglich an der Schule die Rede sein, von den „demokratischen Errungenschaften“ der in den 1930er Jahren von den Faschisten unter General Franco weggeputschten Republik am besten auch nicht.

Ayuso stört auch das „demokratische Gedenken“ – die historische Aufarbeitung von Bürgerkrieg, Diktatur und dem demokratischen Widerstand als solches. Der neue Oberstufenlehrplan spricht erstmals in den mehr als 45 Jahren der spanischen Post-Franco-Demokratie statt von einem „Aufstand“, „einem Kreuzzug“ oder einer „Revolte“ von einem „Staatsstreich“.

Hitzige Debatte

Doch damit nicht genug. Das neue Bildungsgesetz der Zentralregierung besteht darauf, die Rolle der Frau in Gesellschaft und Wissenschaft aufzuzeigen. Es geht um soziale Werte wie „Gleichstellung und Toleranz“. In all diesen Punkten sieht Ayu­so und ihre von der rechtsextremen VOX unterstützte Minderheitsregierung „einen hohen ideologischen Inhalt und ein offensichtliches Fehlen von zu vermittelnden Kenntnissen“.

Ayuso wirft der Regierung vor, „eine Gesellschaft nach ihrem Bilde“ schaffen zu wollen. Die Linke wolle „Spanien neu gestalten“ und sprenge „die Brücken zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“. Die Jugend werde „instrumentalisiert und das in der gegenwärtigen Krise“. Um genau das zu verhindern, habe sie die Schulinspektion beauftragt, die Schulbücher durchzusehen.

José Manuel Bar, Staatssekretär im Bildungsministerium, fühlt sich durch die von Ayuso geplante Revision der Schulbücher an seine eigene Schulzeit erinnert. „In der Zeit unter Diktator Franco sorgte die Zensur dafür, dass Inhalte und soziale Entwicklungen ausgeblendet wurden. Damit schufen sie ihre Ideologie. Dahin will Ayuso zurück“, sagt er.

Er verteidigt das neue Bildungsgesetz, das das alte aus dem Jahr 2013 – verabschiedet von den Konservativen – ersetzt. Das neue Gesetz stelle einen „kulturellen Wandel“ in der Art des Lernens dar. „Es geht nicht nur um inhaltliche Modernisierung, sondern auch um neue Methodologie“, sagt Bar. Neben Fähigkeiten wie Gruppenarbeit oder eigenständigem Lernen soll der Lehrplan „zum kritischen Bewusstsein befähigen“, so Bar. Dies fördere die Gewissensfreiheit und die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, frei zu wählen. Was den Rechten in Spanien nach Sektierertum klingt, sei im restlichen Europa seit Jahrzehnten Ziel der Schule.

Vorwurf der Ideologie

Regionalpräsidentin Ayuso würde am liebsten das Gesetz aus dem Jahr 2013 beibehalten. Damals wurde der Religionsunterricht gestärkt. Regionen mit eigener Sprache, wie etwa Katalonien und das Baskenland, sollten, so der damalige Bildungsminister José Ignacio Wert, „hispanisiert“ werden. Spanisch sollte Hauptunterrichtssprache werden – „bilinguale Schulen“, an denen fast ausschließlich auf Englisch unterrichtet wird, ausgenommen. Das Konzept „Verkehrssprache“ taucht im neuen Gesetz nun nicht mehr auf. Die Rechte fürchtet um „die nationale Einheit“.

Der Vorwurf, das neue Gesetz sei ideologisch belastet und das alte nicht, zeigt für Staatssekretär Bar, dass „die Madrider Regionalregierung zurück zu den Werten der dunklen Zeit Spaniens“ will. Es sei völlig legitim, konservativ zu sein, fügt er hinzu. „Großbritannien hat eine konservative Regierung, Frankreich gewissermaßen auch. Aber was nicht angeht, ist rückwärtsgewandte Politik zu machen“, sagt er. Er wirft Ayu­so vor, den politischen Streit zu suchen, statt das zu erfüllen, was das Bildungsgesetz von ihr verlangt. Nämlich die Rahmenlehrpläne der Zentralregierung um eigene Inhalte zu ergänzen, anstatt gegen unliebsame vorzugehen. Keine andere der konservativen Zentralregierungen versucht, den neuen Oberstufenlehrplan mit juristischen Mitteln zu kippen.

„Unser Recht sieht keine Zensur von Schulbüchern vor. Das ist schlichtweg gesetzwidrig“, beschwert sich Isabel Galvín, Vorsitzende der größten Lehrergewerkschaft in Madrid, Federación de Enseñanza de CCOO, und Dozentin für Didaktik und schulische Organisation an der Madrider Universität Complutense. Mit ihrer Kritik bewege sich Regionalpräsidentin Ayu­so im ideologischen Umfeld autoritärer Politiker wie Donald Trump oder Viktor Orbán. „Die Landesregierung stellt das Studium von Gleichberechtigung, Diskriminierung, Gerechtigkeit, Toleranz und so weiter in Frage“, sagt Galvín. „Das sind die Werte, die in der Verfassung stehen.“ Der Madrider Regierungschefin gehe es nicht um pädagogische Logik, schlussfolgert die Gewerkschafterin, sondern um die „ideologische Vorherrschaft“ in der spanischen Gesellschaft.

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